Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
er beinahe gelacht.
Zehn qualvoll lange Minuten vergingen, bis er drei tiefgekühlte Ampullen injizierbares Tetrazyklin in der hintersten Ecke eines Gefrierschrankes fand; seine Hände waren taub, und er mußte innehalten, um sie aufzuwärmen, ehe er es riskierte, die kostbaren Ampullen zu entnehmen. Wenn er eine davon fallenließ, würde er wahrscheinlich sterben, genau wie Caroline, falls sie auch infiziert war, und eine Menge anderer Leute.
Er mußte sich ausruhen; sein Herz schlug wieder wie rasend, und sein Kopf fühlte sich noch dump- fer an als vorher. Gequält dachte er daran, daß er sich für Diagnose und Behandlung an einen Computer gewandt und mit keinem menschlichen Wesen gesprochen hatte. Compudoc-Lizenzen sprossen aus dem Boden wie vor ein paar Jahrzehnten McDonald’s-Restaurants, und ihre neongrünen Merkurstäbe waren heute ein ebenso leicht erkennbares Wahrzeichen wie einst die goldenen Bögen. Er konnte das ganze grauenhafte Szenario vor seinem inneren Auge sehen: Tausende von Pestopfern, mit dem Handgelenk an diese computerisierten Monster gefesselt, mit geschwollenen Hälsen und vorstehenden Augen, schweißtriefend, bewacht von einem gnadenlosen Biocop, der schießen würde, bevor er Fragen stellte.
Hör auf, Zeit zu vergeuden! schimpfte er sich wütend und zwang sich aufzustehen. Du hast keine Zeit zu verschwenden ! Er packte eine Handvoll Spritzen, die in einem Vorratsschrank lagen, und stopfte alle bis auf eine in seine Tasche. Die würde er benutzen, um sich eine ordentliche Dosis Tetrazyklin zu spritzen, sobald es aufgetaut war. Diesmal passe ich auf und lockere den Stöpsel , bevor der Druck zu stark wird . Aus dem Augenwinkel sah er in einem Glasschrank eine Flasche mit Aspirin; er nahm sie und steckte sie zu den anderen Sachen in seine Tasche. Bewaffnet mit einem ganzen Arsenal gegen seinen stummen Feind, schaltete Ted das Licht aus und machte sich wieder auf den Weg ins Labor. Dort waren noch Spuren zu verwischen.
Er konnte alle Beweise seines Versagens zerstören, nur nicht die Liste der Vorräte, die er Frank ausgehändigt hatte, doch ohne die entsprechenden Computerdateien würde die nicht viel bedeuten. Er wußte, er konnte die Dateien und die Programme, die sie stützten, mühelos zerstören. Ohne zu zögern schaltete er beide Systeme ein.
Er umging das Betriebssystem ganz und wandte sich sofort dem Hauptmenü zu. Gott segne den Geist von DOS, dachte er dankbar. Dann tippte er ein:
Löschen *. *
Er drückte die Eingabetaste. Auf dem Bildschirm erschien die Antwort:
Alle Dateien werden gelöscht. Sind Sie sicher? (j, n)
Er tippte j für ja.
Bitte geben Sie Ihr Paßwort ein.
Er gehorchte.
Ein oder zwei Augenblicke lang hörte er ein leises Surren, während der gesamte Inhalt der Festplatte gelöscht und dann der Bildschirm leer wurde, was den Tod einer künstlichen Intelligenz anzeigte. Software im Wert von einer Million Dollar verschwand mit einem kurzen elektronischen Signal. Er wiederholte die Prozedur bei dem zweiten System, ohne Gnade und ohne Reue.
Dann stand Ted auf und wankte unsicher zu dem Lagerraum, wo Caroline, wie er glaubte, die Stoffprobe gelagert hatte; er sah sich das Fach an, in dem die kleineren Gegenstände aufbewahrt wurden, doch er fand den Stoff nicht, und nachdem er fünfzehn Minuten gesucht hatte, gab er auf. Er versuchte zu überlegen, wo Caroline die Probe gelassen haben könnte; es gab im Institut keinen anderen Platz dafür; die restlichen Fächer des Gefrierschrankes waren wegen der toxischen Natur ihres Inhalts gesichert. Er sah die Ironie in der Tatsache, daß von allen Gegenständen, die durch dieses Labor gegangen waren, ausgerechnet diese Probe, die am wenigsten gesicherte, zu den tödlichsten gehörte. Fast die Hälfte der Bevölkerung Europas und Asiens war im vierzehnten Jahrhundert der Beulenpest zum Opfer gefallen. Und es könnte wieder passieren, dachte er, weil nun verschiedene Bakterienstämme regelmäßig medikamentenresis- tentes genetisches Material miteinander teilen. Wütend trat er gegen einen nahen Stuhl; sein Fuß tat elend weh, und er setzte sich und murmelte unzusammenhängend vor sich hin.
Der Parkplatz war besetzt, als Janie und Bruce beim Depot in Leeds ankamen, und Bruce ließ den Wagen deshalb gleich außerhalb des Tors auf der Zufahrtsstraße stehen. Sie nahmen ihre Aktentaschen vom Rücksitz und gingen zum Sicherheitsbereich, wo Bruce die Verhandlungen mit dem Wachmann wieder aufnahm, wo er sie gestern
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