Aleph
Frankreich hatte mir zwar auf der einen Seite viele wichtige Dinge über mich selbst offenbart, aber es gab auch ernsthafte Nebenwirkungen: das Laster der Einsamkeit. Mein Universum hatte sich auf wenige Freunde in der Nachbarschaft reduziert, auf die Beantwortung von Briefen und E-Mails und auf die Illusion, dass der Rest meiner Zeit mir allein gehörte. Kurz gesagt, lebte ich ein Leben ohne die ganz normalen Probleme, die aus dem Kontakt und dem Zusammenleben mit anderen Menschen entstehen.
Aber war es das, was ich suche? Ein Leben ohne Herausforderungen? Und worin besteht der Reiz, Gott außerhalb der Menschen zu suchen?
Ich kenne viele Menschen, die genau das getan haben. Einmal unterhielt ich mich mit einer buddhistischen Nonne, die zwanzig Jahre lang allein in einer Höhle in Nepal verbracht hatte. Es war sehr ernsthaft und zugleich komisch: Ich fragte sie, was sie dadurch erreicht habe. >Einen spirituellen Orgasmus<, hatte sie geantwortet. Darauf antwortete ich ihr, dass es wohl einfachere Methoden gebe, um zu einem Orgasmus zu kommen.
Das wäre kein Weg für mich - ich könnte nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, spirituelle Orgasmen zu suchen oder die Eiche im Garten meines Hauses zu betrachten und darauf zu warten, dass sich Weisheit auf mich herabsenkt. J. weiß das und hat mich ermutigt, diese Reise zu machen, damit ich begreife, dass mein Weg der ist, der sich im Blick der anderen spiegelt. Wenn ich mich selbst finden will, ist dies die Landkarte, die ich brauche.
Ich erkläre meinen russischen Verlegern, dass ich ein Gesprach mit Monica auf Portugiesisch beenden müsse, und beginne mit einer Geschichte:
»Ein Mann stolperte und fiel in ein Loch. Ein Priester kam vorbei, und der Mann bat ihn, ihm herauszuhelfen. Der Priester segnete ihn und ging weiter. Stunden später kam ein Arzt vorbei. Der Mann bat um Hilfe, doch der Arzt schaute sich nur von weitem seine Verletzungen an, schrieb ein Rezept und sagte ihm, er solle die Medikamente in der nächstgelegenen Apotheke kaufen. Schließlich kam jemand, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Wieder bat er um Hilfe, und der Fremde sprang zu ihm in das Loch. >Und nun? Jetzt sitzen wir beide hier fest!< Darauf antwortete der Fremde: >Das stimmt nicht. Ich bin aus der Gegend und weiß, wie man hier wieder rauskommt.<«
»Und das bedeutet was?«, fragt Monica.
»Dass ich solche Fremden brauche«, erkläre ich. »Meine Wurzeln sind stark genug, aber ich werde es nur mit der Hilfe anderer schaffen zu wachsen. Nicht nur mit deiner und mit J.s Hilfe oder der meiner Frau, sondern mit der Hilfe von Menschen, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Da bin ich mir sicher. Deshalb habe ich darum gebeten, dass es nach der Signierstunde immer eine Party geben soll.«
»Du bist nie zufrieden«, klagt Monica.
»Und genau aus dem Grunde magst du mich so«, erwidere ich lächelnd.
***
Im Restaurant reden wir über dies und das, feiern ein paar Erfolge und versuchen, einige Vertragsdetails festzuzurren.
Ich muss mich beherrschen, um mich nicht ständig einzumischen, denn Monica kümmert sich um alles, was die Publikation meiner Werke betrifft. Aber irgendwann taucht die Frage wieder auf - diesmal an sie gerichtet:
»Und wann dürfen wir Paulo in Russland begrüßen?«
Monica fängt an zu erklären, dass mein Terminkalender schon vollgestopft sei, doch ich unterbreche sie.
»Ich habe schon lange einen Traum. Zweimal habe ich versucht, ihn zu verwirklichen, und bin gescheitert. Wenn Sie mir helfen, ihn zu verwirklichen, komme ich nach Russland.«
»Was ist das für ein Traum?«
»Das Land mit dem Zug von West nach Ost bis zum Pazifischen Ozean zu durchqueren. Wir könnten unterwegs an einigen Orten halten und Signierstunden veranstalten. So würden wir auch diejenigen Leser erreichen, die niemals die Gelegenheit haben, nach Moskau zu fahren.«
Die Augen meines Verlegers leuchten vor Freude. Er hatte mir gerade von den wachsenden Schwierigkeiten der Vermarktung in einem Land wie Russland erzählt, das so groß ist, dass es neun Zeitzonen hat.
»Das ist eine romantische Idee, viel chinesischer Bambus, aber schwierig umzusetzen«, antwortet Monica lachend. »Du weißt, dass ich dich nicht begleiten kann, ich muss mich um meinen Sohn kümmern.«
Der Verleger hingegen ist begeistert. Er bestellt seinen fünften Kaffee an diesem Abend und verspricht, er werde sich um alles kümmern, Monica könnte sich von einer ihrer Mitarbeiterinnen vertreten lassen,
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