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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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hören.«
    Der Karren entfernt sich. Ich laufe nebenher, obschon die Wachen mich wegdrängen wollen.
    »Die Liebe wird den Hass besiegen«, fährt ein anderes der Mädchen ganz ruhig fort, als befänden wir uns noch in den Forsten und Wäldern unserer Kindheit. »Wenn die Zeit gekommen ist, werden diejenigen, die heute auf dem Scheiterhaufen sterben müssen, gelobt und gepriesen werden. Magier und Alchimisten werden zurückkehren, die Göttin wird wieder verehrt, die Hexen gefeiert werden. Alles im Namen von Gottes Weisheit. Und diesen Segen sprechen wir nun über dich bis zum Ende der Zeiten -«
    Einer der Wachleute rammt mir plötzlich seine Faust in den Magen, ich krümme mich, bekomme keine Luft, doch es gelingt mir, den Kopf zu heben. Der Karren entfernt sich, ich werde ihn nicht mehr einholen können.

Ich schiebe Hilal zur Seite. Wir sind wieder im Zug.
    »Ich habe nicht alles genau sehen können«, sagt sie. »Aber mir kam es so vor, als wäre da eine große Menschenmenge gewesen, viel Geschrei, und mittendrin ein Mann mit einer Kapuze. Er sah aus wie du, aber ich bin mir nicht sicher.«
    »Mach dir keine Sorgen.«
    »Hast du die Antwort erhalten, die du brauchtest?«
    Ich würde gern sagen: >Ja, endlich habe ich verstanden, was mein Schicksal ist<, doch meine Stimme versagt.
    »Sag, du willst mich doch nicht wirklich allein in dieser Stadt zurücklassen, oder?«
    Ich lege den Arm um sie.
    »Auf gar keinen Fall.«

Moskau, den 1. Juni 2006
     
    Als wir an jenem Abend in unsere Unterkunft zurückkommen, wartet Yao schon mit den Flugtickets nach Moskau auf uns. Wir fliegen im selben Flugzeug, aber nicht in derselben Klasse. Meine Verleger können mich nicht zur Audienz von Präsident Wladimir Putin begleiten, dafür aber ein befreundeter, eigens zu diesem Zweck akkreditierter Journalist.
    Nach der Landung steige ich vorn aus, Hilal hinten. Ich werde in einen gesonderten Raum geführt, in dem mich mein Freund, der Journalist, sowie zwei mir unbekannte Männer erwarten. Ich bitte um die Erlaubnis, in das Terminal zu gehen, wo die anderen Passagiere ankommen, weil ich mich von einer Freundin und meinen Verlegern verabschieden möchte. Einer der Männer sagt, dafür hätten wir keine Zeit, doch mein Freund entgegnet, es sei doch erst vierzehn Uhr. Das Treffen ist erst für siebzehn Uhr in der Datscha des Staatspräsidenten außerhalb Moskaus anberaumt, wo er um diese Jahreszeit die Amtsgeschäfte führt. In weniger als fünfzig Minuten wären wir dort.
    »Notfalls haben Sie doch bestimmt Blaulicht«, scherzt der Journalist.
    Wir gehen zum anderen Terminal. Unterwegs kaufe ich in einem Blumenladen ein Dutzend Rosen. Wir erreichen die Ankunftshalle, wo eine Menschenmenge diejenigen erwartet, die aus der Ferne kommen.
    »Wer von Ihnen versteht hier Englisch?«, frage ich laut.
    Die Leute sehen mich erschrocken an. Ich bin in Begleitung von drei ziemlich kräftigen Männern.
    »Wer von Ihnen versteht Englisch?«
    Einige Hände gehen hoch. Ich zeige auf den Rosenstrauß.
    »Gleich wird ein Mädchen kommen, das ich sehr liebe. Ich brauche elf Freiwillige, die mir helfen, ihr diese Blumen zu übergeben.« Schnell haben sich die elf gefunden, und wir bilden eine Reihe. Hilal kommt durch die Haupttür, sieht mich, lächelt und kommt auf mich zu. Die Leute überreichen ihr, einer nach dem anderen, eine Rose. Sie wirkt verwirrt und erfreut zugleich. Als sie vor mir steht, überreiche ich ihr die zwölfte Rose und schließe sie zärtlich in die Arme.
    »Willst du mir etwa sagen, dass du mich liebst?«, fragt sie, um ihre Rührung zu überspielen.
    »Ja. Ich liebe dich wie ein Fluss. Leb wohl.«
    »Adieu?«, fragt sie mit einem Lachen. »So schnell wirst du mich aber nicht loswerden.«
    Die beiden Männer, die auf mich warten, um mich zum Präsidenten zu bringen, sagen etwas auf Russisch zueinander. Mein Freund lacht. Ich frage, was sie gesagt haben, und Hilal übersetzt es mir:
    »Sie haben gesagt, sie hätten auf diesem Flughafen noch nie etwas so Romantisches erlebt.«
    Johannistag 2010

Anmerkung des Autors
     
    Ich habe Hilal noch einmal im September 2006 wiedergesehen, als ich sie einlud, an einem Treffen in der Abtei Melk teilzunehmen. Von dort aus sind wir nach Barcelona gereist, anschließend nach Pamplona und Burgos. In einer dieser Städte erzählte sie mir davon, dass sie das Konservatorium aufgegeben habe und die Geige an den Nagel hängen werde. Ich versuchte sie zuerst umzustimmen, aber tief im Inneren begriff

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