Aleph
einem nahen Berg ein Feuer anzünden.
Du wirst dieses Feuer sehen und hingehen und dem Mann begegnen, den du schon dein ganzes Leben lang gesucht hast. Du bist noch jung. Und gestern Nacht hast du so intensiv und wunderbar gespielt, als würde nicht deine, sondern Gottes Hände den Bogen über die Saiten führen. Lass Gott deine Hände führen, und du wirst glücklich sein, auch wenn du jetzt verzweifelt bist.«
»Du willst einfach nicht begreifen, was ich fühle. Du bist ein solcher Egoist, der glaubt, die Welt sei ihm etwas schuldig. Ich habe mich dir ganz und gar hingegeben, und trotzdem lässt du mich einfach im Stich.«
Es bringt nichts, mich mit ihr zu streiten. Doch ich weiß, dass das, was ich ihr eben vorausgesagt habe, irgendwann eintreffen wird. Ich bin neunundfünfzig, sie einundzwanzig.
Wir kehren zu unserer Unterkunft zurück. Diesmal ist es nicht einfach ein Hotel, sondern ein riesiges Gebäude, das 1974 für ein Abrüstungstreffen zwischen dem damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Russlands, Leonid Breschnew, und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Gerald Ford, gebaut wurde. Es ist ganz aus weißem Marmor, mit einer riesigen Halle in der Mitte und einer Vielzahl von Räumen ringsum, die wohl einst von politischen Delegationen genutzt wurden und jetzt für Touristen bereitstehen.
Wir haben vor, ein Bad zu nehmen, uns umzuziehen und dann so schnell wie möglich dieser musealen Atmosphäre zu entfliehen und zum Abendessen in die Stadt zu fahren. Doch in der Halle steht ein Mann, der sichtlich auf uns gewartet hat. Meine Verleger gehen zu ihm, während Yao und ich in diskretem Abstand stehen bleiben.
Der Mann holt sein Handy hervor, tippt eine Nummer ein und reicht es meinem Verleger. Dieser spricht ehrerbietig in den Apparat, und seine Augen leuchten vor Glück. Meine Lektorin lächelt. Die Stimme meines Verlegers hallt zwischen den Marmorwänden wider.
»Verstehen Sie, was gesprochen wird?«, frage ich Yao.
»Ja«, antwortet er. »Und Sie werden es auch gleich erfahren.«
Mein Verleger kommt mit einem strahlenden Lächeln auf mich zu.
»Gleich morgen früh geht’s zurück nach Moskau«, sagt er. »Wir müssen um siebzehn Uhr dort sein.«
»Wollten wir nicht noch ein paar Tage hierbleiben? Ich hatte noch gar keine Zeit, die Stadt zu erkunden. Außerdem sind es neun Stunden Flugzeit. Wie sollen wir da um siebzehn Uhr dort sein?«
»Der Zeitunterschied beträgt sieben Stunden. Wenn wir um zwölf Uhr mittags abfliegen, kommen wir um vierzehn Uhr dort an. Ausreichend Zeit. Ich werde im Restaurant die Reservierung annullieren und Ihnen Ihr Abendessen aufs Zimmer bringen lassen. Ich habe noch einiges zu erledigen.«
»Aber warum denn auf einmal diese Eile? Mein Flug nach Deutschland geht -«
Er unterbricht mich mitten im Satz.
»Es sieht so aus, als hätte Präsident Putin alles über Ihre Reise gelesen und möchte Sie kennenlernen.«
Die Seele der Türkei
»Und ich?«
Der Verleger wendet sich zu Hilal um.
»Sie sind mitgekommen, weil Sie es so gewollt haben. Wann Sie zurückfahren, ist Ihnen überlassen. Wir haben damit nichts zu tun.«
Der Mann mit dem Handy ist schon wieder verschwunden. Meine Verleger gehen auf ihre Zimmer, und Yao folgt ihrem Beispiel. Hilal und ich bleiben allein in der riesigen, bedrückenden Halle zurück.
Alles ist so schnell gegangen, dass wir noch gar keine Zeit hatten, uns von der Überraschung zu erholen. Ich hätte nicht erwartet, dass Putin überhaupt etwas von meiner Reise wusste.
Hilal ihrerseits kann nicht glauben, dass alles so abrupt endet und sie keine Gelegenheit mehr haben würde, mit mir über ihre Liebe zu reden oder darüber, wie wichtig unsere gemeinsame Reise für unser beider Leben sei oder dass wir unbedingt weitermachen sollten, auch wenn ich verheiratet bin. Das vermute ich zumindest. Und plötzlich schreit sie los:
»D AS KANNST DU NICHT MIT MIR MACHEN ! D U KANNST MICH NICHT EINFACH IM STICH LASSEN ! DU HAST MICH SCHON EINMAL GETÖTET , WEIL DU NICHT DEN MUT HATTEST , NEIN ZU SAGEN . DU KANNST MIR DAS KEIN ZWEITES M AL ANTUN !«
Damit rennt sie auf ihr Zimmer, und ich mache mich auf das Schlimmste gefasst. Es ist ihr ernst, alles kann passieren. Ich will meinen Verleger anrufen und ihn bitten, ein Ticket für sie zu kaufen - andernfalls käme es zu einer Tragödie, und dann würde es erst recht kein Treffen mit Putin geben, und auch keine Rückeroberung meines Reiches, keine Erlösung. Das große Abenteuer
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