Alera 02 - Zeit der Rache
dessen Leben rettete.
London war inzwischen ebenfalls wieder auf. Es verlangte ihn jedoch nach frischer Luft und körperlicher Betätigung, deshalb hatte vorläufig Halias die Aufgabe meines Leibwächters übernommen. Auch wenn Londons Humor zusammen mit seiner körperlichen Kraft zurückgekehrt war, hatte er bis zu seiner emotionalen Gesundung noch einen weiten Weg vor sich. Gelegentlich sah ich ihn mit Lady Tanda und wusste, dass sie der Mensch war, der ihm am ehesten dabei helfen konnte.
Anfang April gab es endlich einmal eine uneingeschränkt positive Neuigkeit: Miranna und Temerson wurden miteinander verlobt. Mein Vater hatte bereitwillig der Ehe seiner siebzehnjährigen Tochter mit dem jungen Mann zugestimmt, der kürzlich achtzehn geworden war und somit Besitz und Titel seines Vaters geerbt hatte.
Es war herzergreifend, zu sehen, welche Veränderung dieses Ereignis bei Miranna bewirkte. Nachdem sie nun etwas hatte, worum sie sich kümmern musste, schien sie endlich wieder sie selbst zu werden. Auch wenn sie natürlich zu viel durchgemacht hatte, um sich jemals wieder in das naive, unbeschwerte Mädchen zurückzuverwandeln. Sie wirkte nun etwas zurückhaltender, aber immer wenn sie in Temersons Augen sah oder seine Hand hielt, kam sie ihrer früheren Persönlichkeit am denkbar nächsten. Die Hochzeitspläne gaben meiner Mutter, Miranna und mir auch endlich wieder Gelegenheit, uns näherzukommen. Im Alltag war ich nun derart beschäftigt, dass ich kaum dazu kam, Freunde oder selbst Familienangehörige zu treffen. Umso mehr genoss ich diese gemeinsame Zeit.
Zwei Wochen vor Mirannas Hochzeit kehrte die Hohepriesterin nach Cokyri zurück. Noch kurz vor ihrer Abreise beraumte sie eine Zusammenkunft mit mir und Narian im Palast an, um den künftigen Status der Provinz zu besprechen. Ihrem Verhalten konnte ich anmerken, dass sie vermutete, Narians Beziehung zu mir ginge über bloße Freundschaft hinaus. Aus seinem Benehmen schloss ich, dass er sie über die Natur unserer Beziehung lieber im Unklaren ließ.
Im Laufe des Gesprächs teilte Nantilam mir meinen neuen Titel mit, Großherzogin Alera. Außerdem ordnete sie an, den Palast künftig als Bastion zu bezeichnen. Schließlich legte sie noch fest, dass London wieder mein Leibwächter würde. Narian sollte ihn nach der Hochzeit meiner Schwester alsbald dazu ernennen. Mein Eindruck war, dass sie meinte, London so die nötige Ruhe und Stabilität zu verschaffen. Sie schien ihn nicht einfach sich selbst überlassen zu wollen. Auf jeden Fall blieb er so unter Narians Kontrolle.
Miranna und Temerson heirateten an einem herrlichen Mainachmittag kurz nach meinem neunzehnten Geburtstag, als das Wetter noch angenehm frisch und nicht zu heiß war. Das Ereignis fand im Palastgarten statt, der, so gut es ging, wieder hergerichtet worden war, auch wenn er seine alte Pracht noch nicht wiedererlangt hatte. Aber allein der Aufenthalt in meinem einst so geliebten Refugium war schon eine Wohltat für mich und offenbar auch für alle anderen Festgäste.
Meine Eltern begleiteten Miranna zum Altar, während ich als Brautjungfer fungierte. Lady Tanda und einer von Temersons Onkeln begleiteten den Bräutigam, sein jüngerer Bruder war Trauzeuge. Die Zeremonie war schlicht, aber wunderschön, und wie eine Bekräftigung, dass das Leben weiterging.
Nach dem Festessen im königlichen Bankettsaal im ersten Stock des Schlosses begab sich das glücklich verheiratete Paar mit seinen Gästen in den Ballsaal, um dort weiterzufeiern. Es wurde spät, denn der Wein floss reichlich und die Gäste tanzten nicht nur aus Höflichkeit. Es war die erste offizielle Festlichkeit seit der cokyrischen Besatzung, und auch wenn viele immer noch unter den Kriegsfolgen litten, keimte doch Hoffnung aus der Gewissheit, dass wir die Chance für einen Neubeginn bekommen hatten.
Als ich durch den Ballsaal flanierte, sah ich Galen und Tiersia selig miteinander tanzen. Meine Eltern plauderten mit Baron Koranis und Baronin Alantonya, Narians leiblichen Eltern, zu denen er nun versuchte, ein einigermaßen normales Verhältnis zu entwickeln. Cannan und Faramay standen bei Baelics Witwe Lania und ihren älteren Töchtern. Außerdem sah ich meine Freundinnen Reveina und Kalem, beide durch den Krieg verwitwet, mit Galens Zwillingsschwestern Niani und Nadeja plaudern. Einer fehlte ganz offensichtlich, und das war London. Ich fragte mich, ob er dem Fest ferngeblieben war, weil er nicht wusste, wie er sich Temersons Familie
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