Alera 02 - Zeit der Rache
Träne.
»Tut ihr nicht weh«, sagte Narian und schüttelte ungläubig den Kopf, und zum ersten Mal in diesem Gespräch war ein leichtes Zittern in seiner Stimme. »Bitte, tut ihr nicht weh.«
»Also wirklich, Narian«, höhnte der Overlord. »Betteln steht euch nicht wohl an.«
Er ließ das Haar des jungen Mädchens los und schlug ihr dafür mit ganzer Kraft ins Gesicht. Sie stürzte aufschluchzend zu Boden und presste sich die Hand vor den Mund. Zwischen ihren Fingern quoll Blut hervor.
»Nein!«, schrie Narian. »Ich habe gesagt, Ihr sollt ihr nicht wehtun!« Seine Augen schossen zwischen seinem Herrn und Meister und dem Mädchen hin und her, und seine Gedanken überschlugen sich, denn auf dergleichen war er nicht vorbereitet gewesen. »Wir können einen Handel abschließen«, fuhr er dann etwas gefasster fort. Er hatte sich wieder gefangen und sprach mit fester Stimme. »Aber fügt ihr kein Leid mehr zu.«
»Einen Handel?«, polterte der Overlord. »Das heißt, du würdest um ihr Leben feilschen?«
»Nein, ich würde um Euren Sieg feilschen. Falls sie verletzt oder getötet wird, wird mich keine Macht des Himmels und der Hölle dazu bringen, mich noch Eurem Befehl zu unterwerfen.« Narian legte eine Pause ein, weil er eine Erwiderung erwartete. Als diese jedoch ausblieb, fuhr er fort: »Meine Forderungen sind simpel. Gebt mir Euer Wort, dass ihr nichts geschieht. Und garantiert mir, dass das Volk der Hytanier nicht sinnlos niedergemetzelt wird.«
Nachdem er sich einen Moment lang besonnen hatte, nickte der Overlord. »Ich denke zwar nicht, dass du in einer Position bist, die es dir gestattet, Forderungen zu stellen, aber ich werde auf diesen Handel eingehen, sofern du dich willig meinem Befehl unterordnest.« Er warf noch einen Blick auf die Gefangene, dann winkte er dem Wachmann, sie abzuführen. »Ich wusste, dass du dir auch diesmal meine Sicht der Dinge aneignen würdest.«
Der Soldat eilte zu dem schluchzenden Mädchen und versuchte, sie auf die Füße zu ziehen, doch sie schrie auf und entwand sich seinem Griff. Stattdessen streckte sie die Hand nach Narian aus und versuchte, sich ihm zu nähern. Dabei weinte sie und flüsterte Hilfe suchend seinen Namen. Doch Narian schüttelte nur stumm den Kopf. Auf einen Wink seines Herrschers hin packte der Wachmann die Gefangene an den Oberarmen und zerrte sie grob mit sich. Anschließend wandte sich der Overlord erneut an seinen Schützling.
»Es gibt da eine Reihe von Beleidigungen, für die du Strafe verdienst – Anmaßung, Ungehorsam, Flucht –, aber ich bin bereit, über all diese Dinge hinwegzusehen. Allerdings scheinst du das Ausmaß meiner Macht vergessen zu haben. Aus diesem Grund allein halte ich eine Auffrischung deines Gedächtnisses für geboten.«
Der Overlord streckte einen Arm in Narians Richtung, während seine Worte noch drohend im Saal hingen. Da fiel der Junge auch schon auf Hände und Knie und wand sich vor Schmerz. Obwohl er alles daransetzte, nicht zu schreien, war diese Mühe letztlich vergebens. Seine Schmerzenslaute waren so lange zu vernehmen, bis der Kriegsherr seinen Arm senkte.
»Ich habe den Klang deiner Schreie vermisst«, höhnte der Overlord. »Mach dir nur klar, dass ich noch viel mehr Schreie hören werde, und zwar sowohl deine als auch die des Mädchens, solltest du an der Aufgabe, die ich dir zugedacht habe, scheitern.«
1. DER NACHFOLGER
Die Palastwachen trugen ihre königsblauen Tuniken mit goldenem Brusteinsatz und jeweils eine Standarte aus Seide in denselben Farben in der linken Hand. Sie standen Spalier zu beiden Seiten des Thronsaals. Auf der Marmorempore an der Stirnseite bildete die Elitegarde des Königs links und rechts des Throns einen doppelten Halbkreis. Die Wamse ihrer Uniformen waren ebenfalls königsblau. Nur Cannan, der Hauptmann der Elitegarde, trug ein schwarzes Wams und hatte sich unmittelbar neben dem Königsthron postiert. Auf den Bänken, die man in Reihen aufgestellt hatte, wobei ein breiter Mittelgang frei blieb, hatte der farbenprächtig und kostbar gekleidete Adel Hytanicas Platz genommen. Das Licht der späten Nachmittagssonne fiel durch hohe Fenster ein und überzog den vorderen Teil des Thronsaals mit einem einladenden Schimmer. Bis auf das Rascheln, wenn eine der anwesenden Damen ihre Kleidung ordnete, oder das Scharren einer Bank auf dem Steinboden, war nichts zu hören. Alle warteten gespannt auf den Beginn der Krönungszeremonie.
Steldor und ich schwiegen, wie auch der Rest der
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