Alera 02 - Zeit der Rache
sich anschickte, den Mittelgang zu durchschreiten. Er trug einen prachtvollen schwarzen Uniformrock über einer goldenen Weste, was seine kräftige Statur und seine tiefschwarzen Haare und Augen perfekt zur Geltung brachte. Die Schwertscheide an seiner linken Hüfte war leer, dafür trug er jedoch den Dolch, den ich ihm drei Monate zuvor zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte, an seiner rechten Seite. Zu seinen Füßen bauschte sich ein karmesinroter Umhang, der mit goldenen Spangen an seinen Schultern befestigt war.
Zum Fanfarenklang der Trompeten machte sich Steldor auf den langen Weg durch den Mittelgang, und seine Stiefel schlugen einen gemächlichen, gleichmäßigen Rhythmus dazu. Er blickte starr geradeaus und schien die versammelte Menge gar nicht wahrzunehmen. Seine Miene war so unbewegt wie die der verblichenen Könige auf den Porträts, die die Wände links und rechts säumten. Trotz seines kühlen Auftretens konnte ich daran, wie er den Kopf hielt, ablesen, dass er diesen Moment genoss.
Während Steldor sich den Thronen näherte, trat der Priester erneut vor und meldete sich zu Wort, nachdem mein Ehemann zehn Schritte vor ihm stehen geblieben war.
»Lords und Ladies von Hytanica«, sagte er mit leicht brüchiger und nasaler, aber um angemessene Lautstärke bemühter Stimme. »Ich präsentiere Euch Lord Steldor, den Sohn von Baron Cannan und Gemahl der Thronerbin Prinzessin Alera, der vor Euch hintritt, um als rechtmäßiger König über das Land und die Menschen von ganz Hytanica gekrönt zu werden. Seid Ihr alle, die Ihr Euch hier versammelt habt, gewillt, ihn als solchen anzuerkennen?«
Ein vielstimmiges Ja schallte durch den Thronsaal.
»Und seid Ihr, Lord Steldor, bereit, den Königseid zu leisten?«
»Ich bin bereit«, erwiderte Steldor mit kräftiger, gefasster Stimme.
Der Priester ließ den Blick über den versammelten Adel schweifen, und als er sich der Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicher war, nickte er Steldor zu, der daraufhin auf ein Knie sank.
»Gelobt Ihr feierlich, die Untertanen des Königreichs Hytanica gerecht, gütig und weise zu regieren?«, fragte der Priester.
»Das gelobe ich feierlich.«
»Gelobt Ihr, die Gesetze Gottes zu wahren und zu achten?«
»Ich gelobe es.«
»Werdet Ihr Verfallenes neu aufbauen, Verfehlungen strafen und sühnen sowie Gutes fördern?«
»All das gelobe ich.«
»Dann erhebt Euch und besteigt den Thron.«
Steldor stand auf, während der Priester beiseite trat. Nach einer letzten Verbeugung vor dem Königspaar stieg er die Stufen empor, und Cannan trat zu ihm, um ihm den roten Umhang des Thronfolgers abzunehmen. Gleichzeitig nahm meine Mutter meinem Vater den Königsmantel ab. Sie wartete, während Steldor sich den versammelten Adeligen zuwandte, und legte ihn anschließend um seine breiten Schultern. Meine Eltern begaben sich anschließend an Cannans Seite, wo meine Mutter den roten Umhang in Empfang nahm und ihn meinem Vater übergab.
Steldor ließ die Augen über die Menge schweifen und hob zu seinem letzten Schwur an.
»All das, was ich hier gelobt habe, werde ich umsetzen und halten, so wahr mir Gott helfe«, erklärte er mit leidenschaftlicher Stimme.
Er reichte mir die Hand, und ich trat an seine Seite. Nachdem er das rote Cape von meinem Kleid gelöst hatte, reichte er es meiner Mutter, die ihm dafür das der Königin gebührende königsblaue aushändigte. Er legte es um meine Schultern, und dann ließen wir uns zum ersten Mal auf den Thronsesseln nieder.
Sogleich erschien der Priester mit einem kleinen Ölfläschchen vor uns, um uns zu salben.
»Hiermit salbe und segne ich dich als König über das hytanische Volk«, sprach er, benetzte seinen Zeigefinger mit dem Öl und zeichnete Kreuze auf Steldors Stirn und Hände. »Mögest du uns in Wohlstand und Frieden regieren und weise, gerecht und gnädig über uns herrschen.«
Bevor er sich an mich wandte, benetzte er seinen Zeigefinger erneut.
»Hiermit salbe ich dich zur Königin von Hytanica. Mögest du deinen König bei der Ausübung seines Amtes unterstützen und stärken«, sagte er und versah auch mich mit dem Kreuzzeichen.
Nachdem er einen letzten Segen gesprochen hatte, begab der Priester sich zu dem für ihn vorgesehenen Stuhl ganz rechts vom Königsthron.
Nun würde mein Vater die Amtsgewalt auf seinen Nachfolger übertragen. Dazu trat er vor, und Steldor erhob sich vom Thron, um die Herrschaftssymbole in Empfang zu nehmen.
»Nehmt den Stab der Weisheit«,
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