Alera 02 - Zeit der Rache
folgten in Begleitung der Garde den Herolden durch die Türen in die Große Halle, dann rechts die Prunktreppe hinauf und ließen meine Eltern und meine Schwester zurück. Anschließend durchquerten wir den königlichen Ballsaal und traten auf den Balkon hinaus. Dort erschollen erneut die Trompeten, um die Aufmerksamkeit Tausender Menschen auf uns zu ziehen, die sich außerhalb der Hofmauern versammelt hatten.
»Begrüßt allesamt König Steldor und seine Königin, Lady Alera«, rief Lanek erneut. Wie ein Echo griffen die Palastwachen an den Toren diese Botschaft auf. Bald waren donnernder Applaus und wiederholte Hochrufe zu vernehmen. Steldor begann, unseren Untertanen zuzuwinken und schien ganz in seinem Element zu sein.
Ich hätte nicht zu sagen vermocht, wie lange wir dort draußen standen. Die lange Krönungszeremonie, meine große Furcht und die beträchtliche Zeit, die meine letzte Mahlzeit zurücklag, brachten mich an den Rand der Erschöpfung. Steldor war dagegen vollauf begeistert und schien bereit, sich bis in alle Ewigkeit am Jubel des Volkes zu ergötzen. Als mir dämmerte, dass ich ab sofort mit dem König von Hytanica verheiratet war, geriet ich ins Wanken, taumelte gegen ihn und umklammerte seine Hand. Er sah mich kurz erstaunt an, nahm mich aber sogleich in seine Arme und hielt mich, sodass mein Kopf an seine Brust sank.
»Mir scheint, das war genug der Aufregung für dich«, sagte er leise und trug mich sogleich durch den Ballsaal in unsere Gemächer. Dabei lehnte er die Hilfe seines Vaters und anderer Gardisten ab. Als wir mein Zimmer erreicht hatten, legte er mich aufs Bett, nahm mir Umhang und Krone ab, löste die Bänder meiner Robe und half mir, sie auszuziehen. Nur in meine Wäsche gekleidet sank ich aufs Kissen und war zu schwach, um mich dagegen zu wehren, dass er meine Beine ins Bett hob, mir die Schuhe auszog und mich zudeckte. Zu meinem Erstaunen küsste er mich danach noch sanft auf die Stirn.
»Ruh dich aus und schlaf ein wenig. Später werde ich dir etwas zu essen holen, das dich wieder zu Kräften bringt.« Zärtlich strich er über meine Wange, drehte sich um und verließ den Raum. Meine Lider fielen zu wie schwere Vorhänge.
Wie immer kamen mit den Träumen die Erinnerungen an Narian. Wir standen auf der Lichtung im Wald, der zum Anwesen seines Vaters gehörte, die Sonne schien warm auf meinen Rücken und die Vögel zwitscherten in den Bäumen.
»Seht Ihr? Hier! Ich habe eine«, sagte ich und hielt Narian meine Reithose zur Ansicht unter die Nase. »Jetzt habt Ihr keinen Grund mehr, Euch zu weigern, mich in Selbstverteidigung zu unterrichten.«
»Ich kann mich so lange weigern, wie Ihr sie nicht angezogen habt«, erwiderte er ungerührt .
Er spricht schnell und mit einem ganz leichten, sympathischen Akzent. Der Sommerwind zerzaust sein goldblondes Haar.
Dann taucht ein anderes Bild auf: Ich stehe in der Männerhose und mit weißem Hemd neben einem dunkelbraunen Hengst.
»Sicher reiten die Frauen in Cokyri nicht auf Pferden«, mutmaßte ich und hoffte, mich in seinen Absichten zu täuschen .
»Die Frau, die mich großgezogen hat, ist eine der besten Reiterinnen unseres Reiches«, erklärte er mir , beim Kopf des Pferdes stehend. Jeglicher Wunsch, Narian Paroli zu bieten, löst sich in nichts auf, als ich in seine unwiderstehlichen blauen Augen schaue.
Er kommt zu mir, beugt ein Knie, damit ich meinen Fuß daraufsetzen und aufs Pferd steigen kann. Ich füge mich ohne zu zögern, und er lächelt zu mir auf. Dabei sind seine Wangen vor Freude leicht gerötet und seine selbst auferlegte Zurückhaltung scheint verschwunden. Schließlich schwingt er sich hinter mich auf den Pferderücken.
Danach reiten wir durch die dunkle Stadt. Die Pferdehufe klappern auf dem Kopfsteinpflaster, auf unbefestigten Wegen ist ihr Geräusch gedämpft. Über uns strahlen der Mond und die Sterne, unter uns glitzert der erste frisch gefallene Schnee. Ich lehne mich zurück und spüre die Wärme von Narians Körpers. Automatisch stimme ich den Rhythmus meines Atems auf den seinen ab. Ich fühle mich mit ihm und der ganzen Welt im Einklang. In einem großen Bogen kehren wir zu den königlichen Stallungen zurück, wo er abspringt und mich erwartungsvoll ansieht. Ich gleite vom Rücken des Pferdes in seine Arme und kann die Liebe in seinen Augen sehen. Dann begegnen sich unsere Lippen, und ich schmiege mich an ihn. Ein wohliger Schauer durchdringt meinen ganzen Körper.
Es erfolgt ein neuerlicher
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