Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
zu gern auf die Pelle gerückt, um ihm etwas energischer als beim ersten Mal Fragen zu stellen, aber dazu fehlte mir jede Handhabe. Die »Andeutungen«, die Lea Henning gegenüber gemacht hatte, rechtfertigten beim besten Willen keine Polizeiaktion. Ich überlegte hin und her, beäugte missmutig meinen Aktenstapel und erinnerte mich schließlich an meine Geheimwaffe für schwierige Fälle – ich rief Sönnchen zu mir. Sie war in Heidelberg geboren, hatte nie irgendwo anders gelebt und kannte die halbe Stadt, weil man entweder zusammen im Kirchenchor sang oder gegeneinander Tennis spielte – wobei meine Sekretärin grundsätzlich verlor, was ihre notorisch gute Laune jedoch nicht erschütterte.
»Lassalle?«, fragte sie ratlos. »Nie gehört. Was genau interessiert Sie denn an dem?«
»Alles. Wie üblich.«
Sie lächelte ihr schelmisches Lächeln. »Da werd ich halt mal wieder eine Weile rumtelefonieren.«
»Die Sache ist ein bisschen inoffiziell. Ich weiß von nichts, okay?«
Sekunden später hörte ich sie im Vorzimmer geschäftig plaudern und hin und wieder herzlich lachen. Ich betrachtete wieder meinen Aktenstapel, den meine Sekretärin erst vor wenigen Augenblicken um weitere fünf Zentimeter erhöht hatte. Genau besehen ging mich der Fall Lassalle nichts an. Und bisher konnte von einem Fall ja überhaupt keine Rede sein. Und ich als Kripochef hatte wirklich Besseres zu tun, als hinter dem Vater einer jungen Frau herzuspionieren, die sich vermutlich irgendwo ein paar stress-und schulfreie Tage gönnte.
Ich beschloss energisch, mich nun endlich meinen Dienstaufgaben zu widmen, und gab ein allerletztes Mal den Namen Dr. Justus Lassalle bei Google ein. Bevor er nach Heidelberg gezogen war, hatte er zusammen mit Frau und Töchterchen in Saarbrücken gelebt und bei der Saarstahl AG ein metallurgisches Labor geleitet.
»Selbst wenn dieser Herr bei uns angestellt gewesen sein sollte«, erklärte mir eine schnippische weibliche Stimme mit französischem Akzent am Telefon, »wir geben grundsätzlich keine Informationen über Mitarbeiter heraus. Auch nicht über ehemalige. Da könnte ja jeder kommen.«
»Das hatte ich auch gar nicht erwartet. Worum ich Sie bitten wollte: Könnten Sie mir einen Kontakt zu ehemaligen Kollegen verschaffen?«
»Unsere Mitarbeiter haben Wichtigeres zu tun, als über ehemalige Kollegen zu tratschen.«
»Ich habe eben Ihren Namen nicht richtig verstanden.«
»Meinen Namen? Wozu wollen Sie den denn wissen?«
»Nur zur Sicherheit. Sehen Sie, möglicherweise ist ein Menschenleben in Gefahr, und wenn es zum Schlimmsten kommen sollte, dann wüsste ich gerne, mit wem ich gesprochen habe.«
»Einen Moment, bitte.« Es klickte in der Leitung.
Der Moment dauerte mehrere Minuten, und die Pausenmusik der Saarstahl AG ging mir bis zum Abend nicht mehr aus dem Kopf.
»Dr. Körner«, meldete sich schließlich eine sonore Männerstimme. »Sie interessieren sich für den Justus, höre ich. Was hat er denn ausgefressen?«
»Über den Hintergrund meines Anrufs kann ich im Moment erst mal nichts sagen.«
»Er wohnt seit Neuestem in Heidelberg?«
»Richtig. Und Sie sprechen übrigens mit dem Chef der hiesigen Kriminalpolizei. Sie können die Nummer überprüfen und mich zurückrufen …«
»Ihre Nummer habe ich eben schon gecheckt. Was genau wollen Sie denn wissen?«
»Was Herr Lassalle für ein Mensch ist und warum er vor acht Jahren seine Stellung gekündigt hat.«
»Der Justus ist ein – wie sag ich’s am besten? –, ein unsteter Charakter. Kein Luftikus, das nicht. Er war ein guter Chef und ist vermutlich immer noch ein brillanter Metallurg. Sie sprechen übrigens mit seinem Nachfolger. Aber irgendwie hat er keine Linie in sein Leben gekriegt. Und er hat auch nicht von sich aus gekündigt. Das Arbeitsverhältnis wurde damals – wie es in solchen Fällen heißt – einvernehmlich aufgelöst.«
»Und?«, fragte ich, als er schwieg.
»Na ja. Ich … Ich möchte nicht, dass das am Ende in irgendwelchen Polizeiakten auftaucht. Es ist seinerzeit ja nicht mal zur Anzeige gekommen.«
»Es wird nichts in irgendwelche Akten kommen.«
»Bitte verstehen Sie. Ich bin mir wirklich unschlüssig, ob ich …«
»Kann es sein, dass er sich im selben Jahr von seiner Frau getrennt hat? Und dass zwischen diesen beiden Ereignissen ein Zusammenhang besteht?«
Dr. Körner schnaufte unglücklich in den Hörer. »Ja«, sagte er schließlich.
»Die beiden haben sich also aus demselben Grund getrennt, aus
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