Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
gestanden, einen Unfall mit Todesfolge verursacht und Fahrerflucht begangen zu haben«, erwiderte ich liebenswürdig.
»Falls er etwas Derartiges gesagt haben sollte, dann ist auch das seinem psychischen Ausnahmezustand geschuldet. Herr Plakowsky war – wie Ihnen ja bereits bekannt ist – zum fraglichen Zeitpunkt in Bensheim. Ich habe hier eine schriftliche Erklärung von Herrn Till Böttcher.« Er schob mir mit angesäuerter Miene ein Papier über den Tisch.
Neben mir saß auch heute wieder Klara Vangelis, für die Weihnachten ja immer noch in der Zukunft lag. Sven Balke und Evalina Krauss waren seit dem Morgen zusammen mit einigen Kolleginnen und Kollegen in Oftersheim und stellten die Wohnung des Lehrers auf den Kopf. Ich wandte mich an Plakowsky, der mit mahlendem Kiefer und abwesender Miene auf seinem Stuhl saß und gar nicht zuzuhören schien.
»Herr Plakowksy, was soll das? Vorgestern haben Sie Ihr Gewissen erleichtert. Hat Ihnen das nicht gutgetan? Bleiben wir doch bitte bei der Wahrheit. Der Unfall ist ja kein Kapitalverbrechen. Sie kommen wahrscheinlich mit Bewährung davon. Natürlich ist das nicht schön. Aber dafür können Sie sich morgens beim Rasieren wieder in die Augen sehen.«
»Mein Mandant wird nichts zur Sache aussagen«, wiederholte der Anwalt. »Verstehen Sie kein Deutsch?« Wegen seiner geringen Körpergröße saß er sehr aufrecht. Zudem war er noch jung und hatte vermutlich vor, ein berühmter Strafverteidiger zu werden. Sein schmales, ungesund blasses Gesicht umrahmte ein sauber ausrasiertes Kinnbärtchen. Der dunkle und für den Anlass viel zu feierliche Anzug schien frisch aus der Reinigung zu kommen.
»Herr Plakowsky …«
Der Verdächtige wich meinem Blick hartnäckig aus.
»Was ist mit Lea? Wo ist sie? Was haben Sie mit ihr gemacht?«
»Sie haben keinerlei Beweise«, fuhr mir der Anwalt erneut in die Parade. »Ihre sogenannten Zeugen sind keinen Pfifferling wert. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die angebliche Hauptbelastungszeugin ja nicht einmal greifbar ist. Und wer sind überhaupt die anderen beiden? Hat man die schon zur Sache vernommen?«
Dazu war ich bisher nicht gekommen. Und ich hatte es auch nicht für nötig gehalten. Plakowsky hatte den Unfall ja bereits gestanden, und Leas Begleiter hatten noch weniger gesehen als sie selbst.
»Über diesen Punkt sprechen wir später«, verkündete ich deshalb. »Kommen wir erst mal zu den Fakten: Meine Mitarbeiter haben im Keller Ihres Mandanten eine Sprühdose gefunden mit blauem Autolack. Der Inhalt wird zurzeit noch untersucht, aber ich wette mein Dezembergehalt darauf, dass die Farbe zu den Lackspuren passen wird, die man am Fahrrad der toten Frau gefunden hat.«
Plakowsky hielt für eine Sekunde den Atem an. An diese Farbdose hatte er offenbar nicht gedacht, als er seinen alten Renault eilig ins Ausland verkaufte. Vermutlich hatte er irgendwann eine Schramme im rechten Kotflügel gehabt und eigenhändig überlackiert.
Auch der ehrgeizige Anwalt kam kurz ins Schleudern.
»Außerdem hat Ihr Mandant schon bei der ersten Vernehmung zugegeben, zweimal Geld dafür bezahlt zu haben, dass die Zeugin schweigt. Hätte er das getan, wenn sie lügen würde?«
»Ich sagte schon und wiederhole es gerne noch einmal: Mein Mandant stand unter Schock. Seine mündlichen Aussagen sind ungültig, und schriftlich haben Sie ja leider nichts vorzuweisen. Er wurde durch Sie und Ihre Kollegin massivst unter Druck gesetzt. Sie wollen meinem Mandanten diese Geschichte anhängen, um kurz vor Jahresende Ihre Aufklärungsquote noch ein wenig aufzupolieren.«
Plakowsky atmete inzwischen wieder und presste die Lippen zusammen. Ich ließ einige Sekunden verstreichen, bevor ich meine Frage von vorgestern mit leiser und fast väterlicher Stimme wiederholte: »Haben Sie sie umgebracht? Haben Sie Lea getötet?«
»Was unterstehen Sie sich?« Der Anwalt richtete sich in seinem Stuhl noch weiter auf. »Das ist eine ganz unerhörte Unterstellung!«
Ich ignorierte ihn einfach. »Wo ist Lea?«, fragte ich den zusammengesunkenen Lehrer leise und eindringlich. »Sie ist tot, nicht wahr? Erleichtern Sie endlich Ihr Gewissen. Sie sind nicht der Mensch, der mit so einer Schuld leben kann. Sie werden keinen glücklichen Moment mehr haben, wenn Sie es nicht endlich zugeben.«
Plakowskys Kiefermuskeln spannten sich. Bei meinen letzten Worten hatte er zweimal gezwinkert. Aber er schwieg.
Ich klappte meine dünne Akte zu und erhob mich.
»Ihr Mandant bleibt
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