Alexander Gerlach 09 - Das vergessene Maedchen
verrieten Kraft und Spaß an Leibesertüchtigung.
»Wohnzimmer ist die letzte Tür rechts. Und entschuldigen Sie bitte das Durcheinander, ich …«
Die Einrichtung seiner Dreizimmerwohnung erinnerte eher an eine überdimensionierte Studentenbude als an die Behausung eines Beamten auf Lebenszeit. Plakowsky schien nicht nur bei Autos wenig Wert auf Äußerlichkeiten zu legen. Außerdem ignorierte er konsequent deutsche Weihnachtsbräuche. Nirgendwo ein Bäumchen, ein Zweig oder wenigstes ein paar bunte Lichter.
»Wie geht’s Ihren Töchtern?«, fragte er, als wir uns setzten. »Ich hoffe, es gibt jetzt …«, wieder ein verwirrter Blick auf meine Kollegin, »… keine Probleme?«
Anstelle einer Antwort zückte ich meinen Dienstausweis und platzierte ihn vor ihm auf dem verstaubten Couchtisch, wo kreuz und quer Zeitschriften herumlagen, in denen es meist um Fitness, Fahrräder oder Bergsteigen ging.
»Ich bin nicht wegen Louise und Sarah hier, Herr Plakowsky. Denen geht’s ansonsten gut, danke.«
Sein Lächeln verlor sich nur ganz allmählich. Ich konnte geradezu sehen, wie die Gedanken durch seinen Kopf rasten wie die Hühner, wenn ein Fuchs in den Stall eindringt.
»Ich …«, stammelte er. »Äh … Wie jetzt …?«
Ich hatte beschlossen, gleich schweres Geschütz aufzufahren, und hatte mir den nächsten Satz schon während der Fahrt zurechtgelegt.
»Sie stehen im dringenden Verdacht, am siebenundzwanzigsten Dezember des vergangenen Jahres einen Verkehrsunfall mit Todesfolge verursacht und anschließend Fahrerflucht begangen zu haben.«
Nur für Bruchteile von Sekunden wurde sein Blick panisch. Dann hatte er sich schon wieder gefangen.
»Unfug!«, stieß er hervor. »Wo soll das denn gewesen sein? Und wann genau?«
»Im Heidelberger Süden. Ecke Görresstraße und Rohrbacher. Am siebenundzwanzigsten Dezember, abends gegen halb acht.«
»Da bin ich nie im Leben gewesen. Den Straßennamen, diese Görresstraße, ich kenne die nicht mal.«
»Die Schule, an der Sie arbeiten, liegt nur ein paar Schritte entfernt. Außerdem sind Sie an besagtem Abend dort gesehen worden.«
»Das würde mich aber sehr wundern«, trumpfte er auf. »Wo ich nicht mal in der Nähe gewesen bin.«
»Wo waren Sie denn zu der Zeit?«
»Bei einem Freund. Till. In Bensheim. Till Böttcher. Sie können das gerne überprüfen. Wir haben einen Videoabend gemacht. Stehen beide auf diese alten Science-Fiction-Schinken. ›Star Wars‹, ›Raumschiff Enterprise‹ und so. Sie können es gerne überprüfen. Da drüben liegt das Telefon.«
»Und das wissen Sie noch so genau? Nach einem Jahr?«
Nun kam er ins Schlingern.
»Fragen Sie ihn einfach«, versetzte er nach kurzer Pause patzig. »Die Nummer ist eingespeichert.«
»Ihren schönen alten Renault Laguna haben Sie im Oktober verkauft.«
»Das ist ja wohl kein Verbrechen. Der war hinüber. Die Kupplung war völlig am Ende. In der Werkstatt haben sie gesagt, ich soll ihn gleich verschrotten. Aber ein Freund hat mir dann einen Kontakt zu einem Rumänen hergestellt. Der hat mir immerhin noch dreihundert gegeben für die alte Karre.«
»Welche Werkstatt war das?«
Sein Zögern war um eine Winzigkeit zu lang. »Weiß ich nicht mehr.«
»Sie haben aber bestimmt noch irgendwo die Rechnung?«
»Das … das hat er so gemacht. Er hat nichts dafür genommen. War auch gar keine richtige Werkstatt, sondern ein Bekannter von Till, der was von Autos versteht und …«
»Herr Plakowsky«, unterbrach ich ihn bestimmt. »So wird das doch nichts. Sie sind erpresst worden, nicht wahr?«
Volltreffer. Er wurde aschfahl, stotterte noch ein wenig herum, und dann begann er zu weinen.
»Waren Sie betrunken, oder weshalb sind Sie einfach weitergefahren?«
»Ich war bei meiner … damaligen Freundin gewesen. Wir hatten einen schrecklichen Streit an dem Abend. Wieder mal. Sie … wollte … Schluss machen.« Plakowsky gestikulierte jetzt angespannt, sprach mit gepresster Stimme, war in ständiger Bewegung. »Und ich … ich auch. Es ging nicht mehr. Es ging einfach nicht mehr. Und … ich … ich … okay, ich habe nicht aufgepasst. War so aufgewühlt. Aber sie ist von der falschen Seite gekommen, die Radfahrerin. Aus Richtung Stadt. Auf der linken Seite. Sie war mit schuld.«
»Das ist richtig, aber noch lange kein Grund und keine Entschuldigung für Fahrerflucht.«
»Ich weiß. Das weiß ich doch, mein Gott! Aber wenn Sie erst mal drinstecken in so einer Geschichte. Sie kommen auf einmal nicht mehr
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