Alice@Hollywood
letzte Fünkchen Hoffnung von Ruths Gesicht. Die Leuchtschrift oberhalb der Ausgabestelle kündigt bereits die Ladung des nächsten Flugzeuges an, als Ruth mit aller Macht gegen einen Gepäcktrolley tritt und diesen in hohem Bogen in eine vergilbte Sitzreihe befördert. Einen solchen Gefühlsausbruch habe ich bei ihr zum letzten Mal erlebt, als sie erfahren hat, dass ihr »Gott« Harald Schmidt seine Gags gar nicht selber schreibt. Und das ist nun schon einige Jahre her. Nina fängt wieder an zu kichern, und ich werfe ihr einen bösen Blick zu, der normalerweise Blumen in voller Blüte verwelken lassen würde. Aber heute wirkt er nicht mal im Ansatz. Im Gegenteil. Ninas Lachen wird immer heftiger, und schließlich lässt sie sich auf den Boden sinken. Mit Tränen in den Augen hält sie sich den Bauch. Ruth stampft wütend mit dem Fuß auf, so heftig, dass ihr ein kleiner Schmerzensschrei entfährt. Auf einem Bein hüpft sie durch die Halle. Ninas Lachflash ist nicht zu bremsen. Zu allem Überfluss fängt nun auch Ruth an, eine bühnenreife Kicherorgie abzulassen. Ich versuche, die beiden Hühner zu beruhigen, und schlage vor, unsere New Yorker Adresse bei der Airline zu hinterlassen, damit Ruths Gepäck dorthin geschickt werden kann, sobald es wieder auftaucht.
»Sicher, gute Idee!«, Ruth giggelt weiter, »das Apartment am Central Park!«
»Genau. Wir brauchen Jennys Anschrift«, sage ich und bin froh, als die Heiterkeit langsam abebbt und die neuen Passagiere, die ihr Gepäck abholen, nicht mehr zu uns rüberstarren.
»Jennys Anschrift !« , äfft Ruth mich nach. Dabei schaut sie so verständnislos, als hätte ich von ihr verlangt, sich nackt auszuziehen und auf dem Förderband Macarena zu tanzen. Also versuche ich ihr behutsam wie einer Dreijährigen zu erklären, was genau ich von ihr möchte.
»Wir wohnen hier bei Jenny«, formuliere ich vorsichtig. »Jenny. Unsere Freundin. Sie hütet hier für sechs Wochen das Apartment eines Bekannten und wir dürfen bei ihr wohnen .«
»Weiß ich«, gibt Ruth zurück, »ich bin doch nicht blöd! Aber Jennys genaue Anschrift samt Telefonnummer ist in meinem Koffer !«
Hinter mir höre ich einen dumpfen Schlag. Nina, die sich fast berappelt hatte, ist erneut unter einem Anfall hysterischen Lachens zusammengebrochen.
Eine Stunde später, es ist fast Mitternacht, haben wir am Schalter für vermisstes Gepäck unsere Situation erklärt, eine Beschreibung von Ruths Koffer hinterlassen und eine Telefonnummer erhalten, bei der wir morgen nach dem Verbleib der Habseligkeiten fragen können. Endlich stehen wir draußen vor dem Airport und atmen New Yorker Luft ein. Oder besser gesagt: New Yorker Dieselabgase, denn der Shuttlebus nach Manhattan nebelt uns komplett ein, als er uns direkt vor der Nase wegfährt. Der Nächste geht in zwei Stunden. Nachts ist eben auch in der Stadt, die niemals schläft, nicht wirklich viel los. Zumindest nicht am Flughafen. Nina geht ein Stück am Terminal entlang, um herauszufinden, ob auf einem anderen Fahrplan vielleicht andere Abfahrtzeiten zu finden sind. Ich schlage vor, es mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu versuchen. Martin vom Reisebüro, bei dem wir den Trip gebucht haben, hat mir genau erklärt, mit welchem Bus man von JFK nach Queens fahren kann, um da in eine U-Bahn Richtung Central Station zu steigen. Aber Ruth deutet nur kurz auf die Uhr und gibt zu bedenken, dass sie vergessen hat, ihr Testament zu machen. Während Ruth und ich noch darüber diskutieren, wie teuer wohl ein Taxi in die Stadt sein wird, hält vor uns eine schwarze, zirka sechs Meter lange Limousine.
»George Clooney !« , entfährt es Ruth. »Ich hab mal geträumt, ich hätte Sex mit George Clooney in einer schwarzen Limousine !«
»Aber eine, die mit Bio-Diesel fährt«, entgegne ich, um an Ruths ausgeprägtes Umweltbewusstsein zu appellieren. Sie ignoriert mich, hat ein paar Schritte auf die Luxuskarosse zu gemacht und versucht durch die verspiegelte Scheibe zu erkennen, wer sich im Inneren aufhält. Peinlich berührt will ich Ruth zurückziehen. Es gelingt mir in letzter Sekunde, bevor die aufschwingende Tür sie erneut an der bereits demolierten Stirn trifft.
»Wenn die Damen die Güte hätten einzusteigen«, tönt es aus dem Innenraum, »wir fahren direkt nach Downtown Manhattan !«
Ninas breit grinsendes Gesicht ist im Dunkel des Fonds zu erkennen. Während sie Ruth und mich in den Wagen zerrt, verlädt ein wortkarger Mann mit Schnurrbart in
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