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Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne

Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne

Titel: Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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brachte, und
dabei das triviale Zeugs im Fernsehen anschaute. Danach verließ
er meist das Haus, um Onkel Mishio in einer der Kneipen zu
treffen.
    Dorthys Mutter war keine Japanerin, und durch die Heirat mit ihr
hatte der Vater sich die Mißbilligung und den dauernden Unmut
seiner Familie zugezogen. Wie zur Sühne dieser unseligen
Trennung begann er fanatisch die alten orthodoxen Lebensweisen zu
praktizieren, die vor dem Exodus gebräuchlich waren, und machte
seine Frau damit zur Märtyrerin seines Fanatismus.
Wahrscheinlich war dies auch der Grund für ihren frühen Tod
und den darauf folgenden Ruin des Vaters, verursacht durch
Trunkenheit, schlechte Gesellschaft und noch weniger Glück. Doch
das wurde Dorthy erst Jahre später klar.
    Die kleine Wohnung mit ihren Betonwänden, hinter
Vorhängen aus Papier versteckt, dem Steinboden, den tatami- Matten bedeckten, dem bunt lackierten Shinto-Altar in
einer Ecke, dem Holzkohleofen mit dem ständig summenden
Teekessel darauf, neben dem Dorthys Mutter im Knien das Fisch-Stew
anzurühren pflegte… Und die anderen zwei Dutzend
Apartmentblocks, die kurze Straßenzeile mit kleinen Läden
und Kneipen, die großen Villen der Fabrik-Ingenieure und
-Manager auf dem Hügel, der sich über die kleine Stadt
erhob, den Ozean zur einen, das lichte Busch- und Waldland zur
anderen Seite, darüber die Stille des blauen leeren Himmels, die
nur gelegentlich von dem entfernten Heulen eines Luftwagens
unterbrochen wurde…
    Von all dem hatte Dorthys TALENT sie weggeführt, wie es sie
auch aus ihrer Forschungstätigkeit im Orbit von Pluto
herausgeführt hatte. Da draußen war es so still gewesen.
Kein anderes Gehirn außer dem ihren. Und die Sonne war dort so
winzig – nur ein heller Stern unter Myriaden anderen
Sternen.
    Dorthy wurde in einer Finsternis wach, die antiseptisch roch, ein
stechender Duft, der einen anderen, irgendwie vertrauten Geruch
überlagerte. Ihr erster Gedanke war, sie habe es wieder nicht
richtig gemacht. (Einmal hatte sie es mit Bleichmittel, ein andermal
mit einem scharfen Besteckmesser versucht, das dritte Mal wollte sie
sich im kugelförmigen Pool mitten im schwerelosen Zentrum des
Instituts ertränken.) Ein heftiger Druck lastete auf ihren
Schultern und wurde noch spürbarer, als sie ihren Körper zu
drehen versuchte. Sie war nicht im Institut. Das war doch schon Jahre
her. Befand sie sich immer noch in der Sinkkapsel?
    Dann flutete Licht in den kleinen Raum. Ein Gesicht tauchte aus
dem Nebel vor ihren Augen. Dorthy drehte sich von ihm weg. Etwas
stach in ihren Arm.
    Ein sanftes Abgleiten in pures Silber. Schlaf.
    Später, nach ihrer Zeit im Institut, schien es Dorthy, als ob
ihr TALENT ständig gegenwärtig sei. In ihrer frühen
Kindheit dagegen war es nur latent vorhanden, untrainiert und nicht
zielgerichtet, und sie hatte es nicht als das erkannt, was es
wirklich war. Welches Kind mag schon die Vorstellung, daß es
anders ist als die anderen Kinder?
    Es war immer in ihren Träumen gewesen. Im Schlaf mischte sich
ihr Geist unter die Lichter anderer Geister – wie die
Fünkchen oder Kreise, die sie hervorrief, wenn sie die
Fingerkuppen fest gegen die geschlossenen Augenlider drückte,
wie die Sterne, jeder abgeschirmt für sich, keiner sich des
Vorhandenseins der anderen bewußt. Manchmal, im wachen Zustand,
wußte Dorthy, was andere Leute im nächsten Moment sagen
würden, erlebte im voraus komplette Unterhaltungen, die dann in
der Realität für sie natürlich so langweilig und
uninteressant waren wie die Wiederholungen dieser Trivia-Shows. Nur
selten erinnerte sich Dorthy ihrer Träume, und sie war zu jung
für die Erkenntnis, daß ihr ständiges déjà vu alles andere als normal war. Erst nach
ihrer vertraglichen Berufung an das Kamali-Silver-Institut wurde ihr
allmählich bewußt, wie sehr sie sich von ihren Mitmenschen
unterschied, und welche Tragweite das hatte. Als sich ihr TALENT zum
erstenmal öffentlich zeigte, bemerkte keiner, was da geschah,
nicht einmal Dorthy selbst.
    Sie war damals sechs Jahre alt und ging noch nicht lange zur
Schule, wußte aber schon bald, daß sie sie nicht mochte.
Es waren viele Japaner-Kinder dort, die sich aber wegen ihrer Mutter
von ihr fernhielten und sie verächtlich das kleine Halbblut
nannten, wenn sie überhaupt mit ihr redeten. Und die anderen
Kinder wiederum mochten aus Gründen, die Dorthy nicht verstand,
die Japaner-Kinder nicht und bezogen Dorthy in ihre Abneigung ein. So
war Dorthy völlig isoliert, gehörte

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