0945 - Zielort Kristallwelt
Sinje-Li, die Raubvampirin, starrte auf die graue Wand, die der Bautrupp der Ewigen errichtet hatte. War das der Ernst des Baumeisters? Sie sah dem Ewigen ins unbewegte Gesicht.
Tan Morano, der Vampirfürst, der sich den Machtkristall Ted Ewigks angeeignet hatte, hatte sie, die eine seiner engsten Vertrauten war, mit dem Wiederaufbau des Palastes betraut. Zumindest mit der Aufsicht darüber. Immerhin war ein gutes Drittel des Kristallpalastes, des Hauptsitzes des jeweiligen ERHABENEN der DYNASTIE DER EWIGEN, bei einer Explosion zerstört worden. Ein Anschlag auf das Oberhaupt der Ewigen, das war klar. Doch war es auch einer auf Tan Morano selbst gewesen?
Sinje-Li fragte sich nicht zum ersten Mal, ob es wirklich die beste Idee von Tan Morano gewesen war, sich hier auf dem Kristallplaneten niederzulassen. Sinje-Li konnte jeden Tag aufs Neue den Hass spüren, der nicht nur ihr, sondern auch Starless und dem neuen ERHABENEN entgegenschlug.
Dass man als Vampir nicht gut gelitten war, war Sinje-Li natürlich nichts Neues. Doch das hier war ihr noch nie begegnet. Immer mischte sich in die Furcht vor den Vampiren auch die Faszination. Doch hier fiel es der erfahrenen Söldnerin schwer, zu entscheiden, worauf der Hass, mit dem die Ewigen sie, Starless und Tan Morano betrachteten, letztendlich zielte.
Ein wichtiger Punkt war sicher der, dass Tan Morano sich mit dem Machtkristall, dem Dhyarra der 13. Ordnung, verschmolzen hatte. Sinje-Li fragte sich immer noch, wie ihm das hatte gelingen können und ob das vielleicht mit seinem ganz offensichtlich beginnenden Größenwahn zu tun hatte. Die Ewigen selbst empfanden so eine Verschmelzung in jedem Fall als geradezu sittenwidrig. Ein absolutes Tabu - eines, das der Vampir von Gaia, wie sie die Erde nannten, einfach so gebrochen hatte.
Das allein hätte Sinje-Li sicher nicht weiter gestört, doch die Persönlichkeitsveränderung Tan Moranos, die mit der Verschmelzung begonnen hatte - nein, eigentlich noch früher; als er in den Besitz des Machtkristalls gekommen war! - wurde von Tag zu Tag stärker und trug nicht gerade zur Entspannung der Lage bei.
Er hatte bei der Landung der DYNASTIE rundheraus erklärt, dass er keinerlei Respekt vor den Traditionen der Ewigen haben würde. Das hatte bei der Verschmelzung mit seinem oder besser Ted Ewigks Machtkristall begonnen, war weitergegangen mit der Erklärung, wie schwach die alte ERHABENE, Nazarena Nerukkar, gewesen war (was kaum einem der paar tausend Ewigen gefallen hatte, die sich auf dem Landeplatz der Hauptstadt auf der Kristallwelt versammelt hatten, um ihren neuen Herrscher zu begrüßen) und hatte damit geendet, dass Tan Morano im Kristallpalast erst einmal den gesamten Hofstaat gefeuert hatte.
Sinje-Li hasste, zugeben zu müssen, dass sie vorerst Aufgaben eines Haushofmeisters übernommen hatte. Den Oberbefehl über seine Leibwache, damit hätte sie leben können, doch dabei war es nicht geblieben, seit Starless sie hierher auf den Kristallplaneten zitiert hatte. Tan Morano wusste, er konnte niemandem trauen, doch er wäre nicht das gewesen, was er jetzt war, wenn Sinje-Li und Starless ihm nicht dabei geholfen hätten. Das wusste er sehr gut. Und Sinje-Li hatte viel zu viel Angst vor dem, was Tan Morano in seinem Zustand mit ihr hätte machen können. Ein plötzlicher Tod wäre wahrscheinlich noch das Beste, was ihr bevorstand, wenn sie die Aufgaben nicht zu seiner Zufriedenheit erledigte - und seit er und der Machtkristall eins waren, war Sinje-Li nicht einmal mehr sicher, ob es noch einen Ort in der Galaxie gab, an dem sie sich hätte verstecken können.
Also hatte sie dem neuen ERHABENEN der Dynastie gehorcht und die Aufsicht über den Wiederaufbau und die Ausstattung des neuen Kristallpalastes übernommen. Nicht nur, dass sie, die Einzelgängerin, diese Aufgaben verabscheute: Die Ewigen, die sie zu beaufsichtigen hatte, ignorierten sie, wo sie nur konnten.
So auch jetzt wieder.
Sie sah dem Baumeister, der die turmhohe Wand errichtet hatte, in die Augen. »Willst du mir ernsthaft erzählen, diese Wand hier entspräche den Vorgaben des ERHABENEN?«
Vesto Jendar, der Baumeister, sah sie aufrecht und mit unbewegtem Gesicht an. »So entspricht es unserer Tradition.«
»Das mag sein«, erwiderte Sinje-Li und ging noch einen Schritt auf den Architekten zu. Dabei entblößte sie ihre blitzenden, weißen Fänge. Vielleicht ließ er sich ja so einschüchtern. »Aber selbst wenn du bei der Begrüßung auf dem Raumhafen nicht
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