Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
Zaumzeug befestigt waren.
Der Bischof, im rotgesäumten Reisemantel mit Pelzbesatz, ließ die Perlen seiner Paternosterkette durch die Finger gleiten, um sich zu beruhigen. „Ave Maria, gratia plena. Dominus tecum. Benedicta tu in mulieribus …“
Niemand hatte das Gänslein heute Morgen zu Gesicht bekommen. Von Doña Agnès hatte er erfahren, dass Alix am Abend zuvor nach Pater Nicolas geschickt hatte, ihrem Beichtvater. Der Alte war offenbar die halbe Nacht bei ihr gewesen, um mit der Kleinen zu beten. Da sollte man doch annehmen, dass sie nun gefestigt und bereit sei für die Reise.
Mit zunehmend düsterer Miene beobachtete er, wie Doña Agnès ihrer Dame Honoria einen ungeduldigen Blick nach dem anderen zuwarf und dann ihrer jüngeren Tochter etwas ins Ohr flüsterte. Beflissen drehte sich Inés um und rannte die Treppen hoch. Doch Alix von Montpellier hatte sich offenbar im selben Augenblick auf den Weg nach draußen gemacht, denn sie stand plötzlich oben, auf dem Treppenabsatz. Ihr langes dunkles Haar, einzig durch ein silbernes Schapel gehalten, fiel ihr weit über den Rücken. Sie trug ein grünes Reisekleid, das ein Mäandermuster zierte, sowie einen Stolz, der sie - der Bischof schmunzelte - aussehen ließ wie die Königin Brunichilde, bevor man sie in Stücke riss.
Alix schien entschlossen. Ihr klares, schönes Gesicht war ernst und gefasst. Hoch erhobenen Hauptes schritt sie die Treppe hinab - Inés an ihrer Seite.
Bartomeu von Cahors steckte erleichtert den Rosenkranz ein und hieß die Seinen und die Dame Estrella aufsitzen, um keine weitere Zeit zu verlieren. Dann wartete er voller Ungeduld, dass sich Alix von der Familie verabschiedete und die Sänfte bestieg. Er hoffte, dass es keine Tränen gab.
Alix verbeugte sich nur kurz vor ihrer Mutter. Die Regeln waren nun gänzlich ohne Bedeutung. Als ihr Doña Agnès eine goldene Kette umlegen wollte, wies sie das Geschenk sogar zurück. Nicht jedoch den Rosenkranz aus Korallen, den ihr Inés überreichte. Und nun gab es reichlich Tränen. Alix nahm ihre Schwester in den Arm und tröstete sie eine Weile, dann schritt sie weiter, küsste Wilhelm, den neunten seines Namens, herzte Bertrand, der mit seinen flinken Beinchen im Winter Page beim Grafen von Toulouse werden sollte, und nahm zum Schluss den kleinen Thomas auf den Arm, ihren Liebling, der hell aufjauchzte und ihr sofort mit seinen Patschhändchen ins Haar fuhr.
Doch plötzlich - der Bischof und auch alle anderen wollten ihren Augen nicht trauen - trat sie mit dem Kleinen zwei Schritte zurück und zog ein Hakenmesser aus ihrem Gewand, um es dem süßen Lockenschopf vor den Hals zu halten.
Ein Aufschrei ging durch die Reihen …
„Wage es niemand, mich anzurühren“, rief Alix in die Runde. „Ich reite nicht nach Cahors!“
Doña Agnès erbleichte, schwankte. Ihre Damen stützten sie.
Die Amme des Kleinen, eine untersetzte junge Frau, hob die Hände in die Höhe und fing laut zu jammern an. Estrella stieß einen hohen Angstschrei aus, wobei ihr Pferd scheute und sie um ein Haar gestürzt wäre, hätte sie der Diener des Bischofs nicht aufgefangen. Inés und Bertrand heulten dicke Tränen, ja selbst die Dienstboten waren in heller Aufregung.
Der junge Wilhelm jedoch, den Mund weit offen, schritt mit seinen feisten Beinen auf Alix zu, die im Gegenzug immer weiter zurückwich. Auf der Höhe des Ziehbrunnens blieb sie stehen. Wilhelm hielt ebenfalls inne.
Der Bischof beobachtete, wie Alix wie zur Abwehr mit dem Messer in Wilhelms Richtung fuchtelte. Erneut machte der Bruder einen Schritt - wieder wich Alix zurück.
Der Kleine, der auf ihrer linken Hüfte saß, jauchzte fröhlich. Doch alle starrten nur wie gebannt auf das dunkle Hakenmesser in der ausgestreckten Rechten des Mädchens.
Wilhelm lief der Schweiß die Wangen hinab und der Speichel aus dem Mund.
Die Zeit verstrich unendlich langsam.
Nach einer Weile löste sich Pater Nicolas aus dem Kreis der Zuschauer und machte sich auf den Weg zum Brunnen. Als ihn Alix herankommen sah, ließ sie rasch das Messer fallen, herzte Thomas ein letztes Mal und setzte ihn vor sich auf den staubigen Boden.
Dann, als ob sie auf diesen Augenblick gewartet hätte, raffte sie die Röcke, drehte sich um und rannte wie der Blitz die schattenspendende Allee hinunter.
Wilhelm stemmte wütend die Arme in die Hüften und stieß einen schrillen Schrei aus. Um ihr nachzusetzen, war er zu dick.
„Holt sie zurück“, rief der Bischof seinen Soldaten zu.
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