Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
Dann ließ er sich vom Pferd helfen.
“Ogottogottogott!” Die Dame Estrella warf ihm einen hilflosen Blick zu. Sie zitterte wie von Fieberfrost. „Was ist nur in das arme Ding gefahren?“
„Schweigt, Frau“, gebot ihr der Bischof, bevor er zur Doña Agnès hinübereilte. Trotz allen Ärgers über die Verzögerung zuckte sein kleiner Mund auffällig. Das war Alix, wie sie leibte und lebte. Hier vor allen Leuten wie zur Verteidigung ihrer Jungfräulichkeit eine griechische Komödie aufzuführen!
„Eure Tochter hat wirklich eine lebhafte Art“, sagte er mit fester, aber versöhnlicher Stimme zu Agnès, „mit den Jahren mag sich die Schwärmerei der Jugend schon legen.“
„Auf ein Wort, Euer Gnaden!“ Pater Nicolas trat an seine Seite, nachdem er den kleinen Thomas der Amme übergeben hatte. Er legte die altersfleckigen Hände zusammen, verbeugte sich kurz, sah dem Bischof aber beim Aufschauen ernst in die Augen.
„Wenn Ihr noch ein lebendiges Herz im Leib habt, Bartomeu von Cahors“, sagte er leise, „so reitet ohne Alix nach Hause!“
Der Bischof sah ihn eisig an: „Ihr wagt es, mir ungefragt Ratschläge zu erteilen?“
„Sénher, die Unruhe, die Euer Herz verdunkelt, wird ihre Seele ins Verderben stürzen!“
„Elender! Hütet Eure Zunge, sonst …!“ Bartomeu von Cahors lief rot an und die dicke auffällige Ader auf seiner Stirn, schwoll an.
„Ich bin alt, macht mit mir, was Euch beliebt“, warf Nicolas furchtlos ein. „Doch was ich gesagt habe, musste gesagt werden.“
Zu Nicolas` Glück kam der Bischof nicht mehr dazu, ihm diese Unverschämtheit zu vergelten, denn die Soldaten waren zurückgekommen - und neben ihnen humpelte Alix.
Bleich, mit weit aufgerissenen Augen und herabhängendem Saum, sowie mit nur noch einem der neuartigen grünen Schnabelschuhe an den Füßen, die erst vor kurzem ihren Weg nach Montpellier gefunden hatten und auf die sie so stolz gewesen war, blieb sie steif vor dem Cahors stehen und blickte ihn hasserfüllt an.
Der Bischof wischte ihr mit einem seidenen Tuch den Schweiß von der Stirn. Dann deutete er wortlos zur Sänfte hinüber.
3.
Bertrand von Saïssac, sonst geplagt von allerlei Gebrechen, vor allem Schmerzen in den Gelenken, stürzte in heller Aufregung in das Schlafgemach seines Neffen.
„Mein guter Raymond“, rief er, „steht auf, soeben kam ein Bote aus Montpellier. Es geht um Eure Braut!“ Er überreichte dem jungen Trencavel einen Brief, dessen Siegel bereits erbrochen war. Obwohl Saïssac die Vormundschaft längst abgegeben hatte, besaß er noch immer das unumschränkte Vertrauen seines Neffen.
Bereits bei den ersten Zeilen wurde der Vizegraf blass. Als er das Schreiben zu Ende gelesen hatte, gab er es zurück. Dann stand er auf, strich sich das blonde Haar hinter die Ohren. „Jhesu Crist! Ist es zu fassen?“ sagte er leise. „Die Desponsatio ist geplatzt? Meine Braut hat Montpellier mit unbekanntem Ziel verlassen, gemeinsam mit ihrer Stiefschwester Marie? Ein halbes Jahr vor der geplanten Hochzeit?“
„So steht es geschrieben!“ Saïssacs Gesicht war wie versteinert.
Der Vizegraf schüttelte den Kopf. „Nein, das kann und will ich nicht glauben!“, sagte er schroff. „Lasst mich bitte für einige Augenblicke allein, Oheim.“
Saïssac nickte verständnisvoll.
Innerlich zutiefst aufgewühlt, trat der Trencavel an das hohe Kuppelfenster. Das Wetter war seiner Stimmung angepasst, am Himmel tobte eine Wolkenschlacht. Mit seinen achtzehn Jahren war er nicht mehr der ängstliche Junge von früher, auch wurde er seit langem mit Enttäuschungen fertig. Dennoch hasste er das Herzklopfen, das ihn stets überkam, wenn eine unverhoffte Veränderung eintrat. Wann lernte er endlich, dass sich das Rad des Schicksals drehte, ohne ihn zuvor um Erlaubnis zu fragen?
Im Ehrenhof unten wimmelte es nur so von Leben. Diener eilten umher, mit Körben und Schüsseln in den Händen, andere schleppten an langen Stangen hängende, noch zu schlachtende Kapaune und Tauben, deren Füße paarweise zusammengebunden waren. Die Schragen und Tischplatten standen bereit, die Türme waren beflaggt. Gerade noch sah er das lange schwarze Gewand des Juden Aaron um die Ecke verschwinden. Kam sein Kämmerer eigentlich jemals zur Ruhe? Des Tags versah er seine vielen Ämter, des Nachts schrieb er für gewöhnlich an den Annalen und Chroniken von Carcassonne.
Endlich entdeckte der Trencavel auch seine Freunde, die Spielleute, wie sie emsig dabei waren, das große
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