Alkor - Tagebuch 1989
Nartum damals gab es einen festlichen Rauhreif zu sehen.
Zeitungsausschnitt über eine Lesung Siegfried Lenz’ am 18. November 1988 in Rostock . Merkwürdig, daß er von den Rostokkern eingeladen wird und ich nicht. Alle möglichen West-Autoren werden von den DDR-Leuten eingeladen, nur Kempowski nicht. Eigentlich schade, daß Sigi nicht den Mut fand, dort auf mich hinzuweisen. Das hätte sich eigentlich so«gehört», und es hätte ihn nichts gekostet. Vielleicht hat er’s ja getan.
Sichtung der«Hundstage»-Kritiken.
Kramberg in der SZ meint, die«Hundstage»seien der tapfere Versuch, einen Motor laufen zu lassen, dem der Treibstoff ausgegangen ist. Seit 19 Jahren sei er mein«Getreuer», aber jetzt sei mir wohl der Treibstoff ausgegangen.
Treibstoff? - Gluck-Gluck oder was meint er?
Die Kritiker sagen mir, wie ich meine Bücher schreiben soll. Es soll schärfer bei mir zugehen, zugespitzter. Es sollen also Fetzen fliegen. Was soll ich machen? - Bei mir fliegen keine Fetzen!
Wenn ich mal ein deutliches Wort zu ihren Erzeugnissen von mir gebe, sind sie sofort beleidigt.
Seminar: Die sonderbarsten Sachen ereigneten sich. Abends schlossen sich welche in die Oma-Stube ein, um sich ungestört unterhalten zu können. Das ärgerte mich ganz besonders, weil ich ja während des Seminars nie irgend etwas abschließe. Eine andere Teilnehmerin verlangt eine Nagelschere: Sie hakt immer hinter beim Stricken.
Ich war heute ziemlich empfindlich, das machte die gestrige Valium, die nächtliche Betäubung muß abgebüßt werden, das ist klar. Die Katzen beklagten sich über den Menschenlärm, und ich mußte sie kraulen, eine mit links, eine mit rechts.
«Sind das Ihre Hühner?»-«Sind die Hühner den ganzen Tag eingesperrt?»wird gefragt.
Ich:«Wir peitschen sie jeden Tag aus, morgens früh, damit sie munter werden.»
Dorfroman: Hildegard hat den Hühnern hübsche Namen gegeben. Emilie, Sophie, Wilhelmine, es sind die Namen ihrer Urgroßmütter. Nach dem ABC sei sie vorgegangen, und jetzt fürchtet sie, alle durcheinander zu kriegen. Den Hund Robby nennt sie im Augenblick ihren«Munterhund».
Die schwarzen«Langschan»-Hühner sind es, die die Namen bekamen, die«Italiener»werden nicht in gleicher Weise ausgezeichnet. Das ist ganz in meinem Sinne. Sie sind nervös auf eine befremdliche Weise. Der Hahn allerdings, ebenfalls italienischen Ursprungs, heißt Richard.
Frau Schönherr sagt, es sei ganz falsch, Hühnern Namen zu geben, dann könne man sie später nicht schlachten.
Am Abend kredenzte mir Hildegard einen heißen Kakao, ich nahm ihn bei ihr im Pavillon und sorgte dafür, daß sie es mitkriegten, die Leute-Gäste: Die wohltuende Liebe meiner Frau sollten sie besichtigen. Das ist gut fürs sogenannte Image.
Ich ging dann mit ihr noch einmal den Sirius angucken. Das hatte mit den«Hundstagen»nichts zu tun. Wir stießen draußen auf einen Herrn, der ums Haus herumschlich und die erleuchteten Fenster fotografierte. Er versteckte sich vor uns.
Ein Heiliger ist für den heutigen Tag nicht vorgesehen. Ich las etwas im Liturgischen Lexikon. So was erfrischt.
Kerze, Licht, das vom sich verzehrenden Wachs der Kerze genährt wird, ist in besonderer Weise Sinnbild Christi, der sich für uns in Liebe opfert; zugleich sind brennende Kerzen Zeichen der Bereitschaft für den kommenden Herrn. So zeigt die brennende Kerze die Gegenwart Christi an: am Altar, beim Evangelium, beim Geleit des Priesters, vor dem Tabernakel und dem ausgesetzten Allerheiligsten; sie wird dem Christen bei der Taufe überreicht, er trägt sie bei der ersten Kommunion und in der Osternacht, sie begleitet ihn bei der Hochzeit als Braut- und in der letzten Stunde als Sterbekerze; mit brennenden Lichtern wird er aufgebahrt und zu Grabe getragen. Brennende Kerzen vertreiben das Dunkel; so werden sie zu Beginn der Osternachtwache und jeden Abend zur Vesper feierlich entzündet und brennen als Wetterkerzen.
Die Kerze verbrennt sich selbst, um anderen zu leuchten. Kein großes Kirchenlicht sein …
Was hilft Kerze, was hilft Brill’/wenn man doch nicht sehen will?
Sie sitzen vor Stereoanlagen und hören Rockmusik, und dabei dürfen Kerzen nicht fehlen.
1999: Neuerdings werden weiße Papphülsen auf den Altar gestellt, in die oben ein Teelicht eingesetzt wird. - Was bedeutet es, wenn eine Kerze an beiden Enden brennt?
Nartum
Do 5. Januar 1989
Bild: Giftgas-Krise - US-Jäger schießen 2 MIGs von Gaddafi ab / Libyen droht mit Vergeltung
ND:
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