Alkor - Tagebuch 1989
den«Spiegel»gelesen.«Guten Abend, Herr Professor!»ruft der türkische Kellner jedes Mal durchs ganze Lokal. Das tut wohl.
Auf der Rückfahrt behinderten mich brutale Mercedes-Fahrer, die trotz Schneematsch mit 150 dahinfegten, mit Bug- und Heckwelle. Weil sie allein in ihrem Auto sitzen, glauben sie, sie können sich vorbeibenehmen. Mercedesfahrer = Kapitalisten? Das stimmt nun absolut nicht. Auch die meisten Bauern fahren einen Mercedes. Sogar unser Pastor fährt einen, er entschuldigt sich dafür wieder und wieder.
Der Audi, den wir fahren, sei ein typischer Architektenwagen, heißt es. Unser Architekt fährt aber einen amerikanischen, mit Holzaufbau, einen Buick oder so was.
Hildegard, die sich trotz jahrelanger Schulung durch Karl-Friedrich keine Automarken merken kann, ist voll und ganz für BMW.
Wenn sie einen besäße, würde sie wahrscheinlich auch schneepflügend über die Autobahn rasen.
Aust, über Terrorsachen. - Merkwürdige, vielleicht sehr deutsche Hysterie auf allen Seiten.
Ich habe nichts gegen«Rasterfahndung».
Ich wundere mich, daß sie nicht ständig rasterfahnden, Netze auslegen, in denen sich Verbrecher verfangen. Was ist daran anrüchig?
Im übrigen wären Rasterfahndungen auch auf anderen Gebieten angebracht: Begabung z. B. Aber wenn man die Begabten erfahndet hat, wird gesagt: Aha! und überläßt sie sich selbst. Im Konzertführer:
… und stürmisch singt es aus der Tiefe empor zum jubelnden, strahlenden C-Dur des Finale:«Licht, Licht, Sieg», schreit es aus tausend Kehlen! Dann setzt ein Jubel- und Triumphgesang von berauschendem Schwunge ein. Doch noch einmal stockt der Aufschwung. Wieder kehren die unheimlichen Geister der Ungewißheit zurück; aber«Licht und Freiheit»lassen sich nicht mehr eindämmen. Machtvoll bricht sich von neuem der Jubel Bahn und steigert sich zum Schluß zu ungemessener Freude. Das große Ziel, es wäre errungen: Durch Nacht zum Licht!
Volkes Mund hat daraus ganz folgerichtig gemacht: Per Aspirin ad Astrachan.
Das Busengrabschen soll unter Strafe gestellt werden. Obwohl ich entsprechende Neigungen nicht habe, bin ich dagegen. - Ist das Sackgrabschen der Frauen eigentlich auch verboten? Von betrunkenen Frauen angemacht zu werden, ist ja auch nicht gerade angenehm.
Eichendorff-Gedichte mit Erschütterung.
Licht aus. Eben höre ich noch eine Motette von Orlando di Lasso. Das ist ein würdiger Tagesabschluß. Das An- und Abschwellen der Melodielinien. Das Lebensatmen über die Jahrhunderte hinweg.
Nartum
Di 10. Januar 1989
Bild: Robert Lembke am offenen Herzen operiert
ND: DDR tritt für vollständiges Verbot der C-Waffen ein
Fotokopierer-Miete: 820 DM
Zehn Disketten: 141 DM
Das Jahr fängt gut an: Der Anwalt hat wegen der Verhandlungen
mit der Landesbibliothek und Hagen eine Rechnung über 2000 DM geschickt. Eine kostspielige In-den-Sand-Setzung ist das.
Mitternacht, kalt.
Dorfroman: Ich habe bei den Hühnern die Infra-Heizung angestellt und schwebe jetzt in Ängsten, ob nicht der Stall und dann das ganze Haus in Flammen aufgeht. Vielleicht ist sie falsch installiert? Aber ich mag die armen Hühnerchen nicht der Kälte aussetzen. - Auch die Katzen in der Veranda tun mir leid.
Sie springen jedesmal an die Tür, wenn ich durch die Bibliothek gehe.
Im Hinblick auf die Tiere kann Hildegard mehr ab als ich. Sie meint, die Tiere seien abgehärtet, und deshalb läuft sie auch nicht dauernd hin, um zu gucken, ob sie noch leben. Ich tue es ja auch nur gelegentlich.
H. H. Jahnn. Ein merkwürdiger Mensch. Ich habe noch nie was von ihm lesen können, aber über ihn, das ist was anderes. Seine Krankheiten! - Er nennt Thomas Mann«pfiffig».
Das Aust-Buch, spannend geschrieben. Buch zuklappen, Augen zu.
C. F. Meyer:«Das traute Wachtgebell der Hunde …»Na, also - traut?«Hau-hau-hauhau … hau-hau-hau-hau …»
Melde mir die Nachtgeräusche, Muse,
Die ans Ohr des Schlummerlosen fluten!
Erst das traute Wachtgebell der Hunde,
Dann der abgezählte Schlag der Stunde …
Die Katholiken feiern heute das Andenken an den heiligen Agatho , einen sizilianischen Mönch, der drei Jahre lang einen Stein im Mund trug, um Schweigen zu lernen.
Rinderbrühe, Harzer Käse.
Nartum
Mi 11. Januar 1989
Bild: Er wollte zu Prof. Hetzer/Herzpatient starb auf Flughafen Tegel
ND: Schwedt: Mehr Produkte aus Veredelungsanlagen/Zuwachs von 100 Millionen Mark/Warenproduktion bei Erdölspaltung /Qualitative Stärkung der Reihen der SED fortgesetzt
In
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