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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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auch stark sein, sonst gilt (bewirkt) er nichts. Güte aus Schwäche wird nicht akzeptiert. Das alte Pädagogenproblem. Die plötzlich aufscheinende Güte eines Brutalniks.
An sie erinnert man sich«gerner», als an den ewig Gütigen, Ausgeglichenen. Das Geheimnis der Wirkung eines Zuhälters. Die Hoffnung, daß auch der Teufel, wenn’s drauf ankommt, ein menschliches, ein göttliches Gefühl hat.
    Die Unterscheidung von Softi und Macho:«Er ist gar nicht so.»Dorfroman: Unser guter Richard ist tot. Heute früh habe ich ihm noch ein paar Körner gegeben, das muß halb zehn gewesen sein, danach habe ich ihn nicht mehr gesehen. Schade. So ein gutes, schönes Tier. Tot lag er am Zaun. Hat sich aufgeopfert für die Seinen. In einer Flaumfederwolke lag er - ausgeblutet. Trauern wir nicht weiter, es ist ein Tier, und ich war ihm freundlich zugetan, und er hat mich respektiert. Ein hoher Zaun muß her, das habe ich ja schon immer gesagt.

Nartum
So 26. März 1989, Ostersonntag
    Welt am Sonntag: Wickert-Umfrage: 62% wollen einen neuen Kanzler/Die FDP-Abgeordnete Hamm-Brücher warnt ihre Partei vor«einer Wende rückwärts zur SPD»
    Sonntag: Commandeur Lehmann. Ansichten anläßlich einer Ausstellung. Von Wolfgang Sabath
     
    Brandgeruch von den Sauerstoff verbrauchenden Osterfeuern. Ich stand schon um 7 Uhr auf und spielte ein paar Choräle.
    Christ ist erstanden
von der Marter alle …
    In der Bach-Fassung unbefriedigend.
    Zwei Jahrtausende Ostern sind zusammengeschrumpft auf Osterhasen aus Schokolade, innen hohl. Es ist alles aus den Fugen.
    Umfrage wegen Ostern, weiß nicht, wie die Zeitung heißt. Für Lea Rosh sei das Osterfest ohne Bedeutung. Ostern, das heiße
für sie ausschlafen, lesen, spazierengehen, eben erholen. - Man merkt’s. Heidi Kabel beschäftige sich mit Tod und Auferstehung zur Zeit nicht vorrangig, wie sie sagt.
    Schnurre: Er sei Atheist, partizipiere aber an der Vorstellung, daß Ostern ein wunderschönes Fest sei.«Frühling, Auferstehung und so»leuchteten ihm ein. Ostern sei ihm wichtiger als Weihnachten:«Weihnachten ist sentimental, Ostern ist schön.»Für Justus Frantz«war und ist Ostern eines der wichtigsten Feste und Tatsachen»in seinem Leben. Als Naturmensch erlebe er den Beginn des Frühlings, als Musiker den Höhepunkt der Bachschen Passionen. Doch das alles sei ihm nicht so wichtig wie«die christliche Tatsache der Auferstehung: Daß Materie transzendieren kann, ist einer der geheimen Sehnsüchte in jedem Menschen.»- Nannen sucht mit seinen Enkeln Ostereier.
    In Bautzen sagte ein Pfarrer nach dem Gottesdienst:«Ich wünsche euch einen unvergeßlichen Ostergedanken!»
    Ich wurde auch befragt, hab’ offenbar den Zusammenhang zwischen Fasten und Feiern herausgestellt.
    Sozialismus ist eine Moral,
Kommunismus eine Technik
und Faschismus eine Ästhetik.
    Wer hat’s gesagt? Léon Blum? - Hört sich interessant an, aber je länger man darüber nachdenkt, desto dämlicher ist es. Indem ich sage: alles ist mir gleich widerlich - vergleiche ich das Unvergleichliche und begehe damit eine publizistische Todsünde.
    «Siehste!», sagt der seit 1968 durch die Institutionen marschierende Redakteur und nimmt es zu den Akten. - Sie durchwühlen das Dossier, aber sie finden nichts, das ist ihr ganzer Kummer. Deshalb schweigen sie mich tot. Nach den Kategorien der p.c.-Wächter bin ich unbefleckt. Vielleicht ist es das, was sie stört?
    Am Nachmittag saß ich am Fenster und legte Patiencen:«Napoleon»heißt sie.
    Hunderte von Krähen auf der Wiese hinter dem Haus.

Nartum
Mo 27. März 1989, Ostermontag
    ND: 23 000 Vierzehnjährige erhielten die Jugendweihe
     
    Dorfroman: Den Hahn hat einer abgemurkst. Vielleicht der Fuchs. Er schwamm nicht in seinem Blut, sondern in seinen Federn. Ein vermutlich heroischer Hahn, der sich aufgeopfert hat für seine Hennen. Manchmal lief er hinter mir her, täuschte eine Attacke vor. Ich bekam Gänsehaut, ging mehr oder minder ruhig weiter und sprach beruhigend vor mich hin. - Damit ist es nun nichts mehr.
    Redensart:«Den gebratenen Hahn spielen»- das gefällt mir.
    Neulich hat uns eine Dame einen Pfau angeboten, aus Süddeutschland, einen weißen . Nein, es geht nicht. Obwohl es ein verlockender Gedanke ist, hier einen weißen Pfau herumlaufen zu haben … Möglicherweise dazu noch einen Esel anschaffen, was? Obwohl, die Vorstellung, einer Interviewerin mit einem Pfau an goldenem Halsband entgegenzutreten …? Das ist nicht ganz von der Hand zu

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