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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Gewerkschafter gehen mit erfüllten Plänen zur Wahl
     
    «Echolot»: Daß die Ostfreiwilligen, Turkmenen und Aserbeidschaner also, sich in Westdeutschland in den deutschen Quartieren wohl fühlen (14. Januar 1945).
    Am 11. März 1945 schildert Mrongovius die Verwüstung, die deutsche Soldaten in Görlitz angerichtet haben.
    Zweiter Weltkrieg. Churchill, Colville. Auch allerhand über Norwegen.

    Dorfroman: Die ersten Kiebitze und zwei Eichelhäher. Sensationelles Wetter, schwarzer Schneehimmel, davor die ersten Weidenkätzchen: ein Regenbogen, einmal rum. Hildegard steht mit einem Fuchsschwanz in den Tannen, sie hat Krüppelbäume gefällt. Wie gut, daß man mich Krüppel nicht fällt.
    Später dann erleuchtete Kumulusfront - sie ersetzt uns das Hochgebirge. Ich drehte Runde um Runde.
    Unser Praktikant ist aus Versehen mit Robby bis nach«Bühlstedt»(wie er sagt) gelaufen, das sind 18 Kilometer. Der arme Hund war ganz erledigt.
    Langes Gespräch mit einem Buchhändler. Er erzählte von Kunzes Lesung, der die Zähne gebleckt und sich unglaublich tief verbeugt habe. Nach jedem Gedicht habe er lange ins Publikum geschaut, was die Leute dazu sagen? Die Frauen-Dialoge habe er mit Fistelstimme gelesen.
    Letzte Vorbereitungen für das Seminar. Wir werden es den Leuten diesmal besonders schön machen. Wir werden das Literatur-Seminar wie ein Fest gestalten.
    Cello-Konzert von Schostakowitsch.

Nartum
Sa 18. März 1989
    Bild: Angst vor Attentaten/Wandert Steffi aus? / Wohnungsnot / Der erste ins Bordell eingewiesen
    ND: Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR zurückgewiesen /Sprecherklärung namens der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik/VdgB-Mitglieder wirken überall mit für produktive und schöne Dörfer
     
    Vor einigen Tagen sah ich, hörte ich einen Stimmenimitator. Er ahmte Politiker nach, Strauß, Kohl, Genscher und Brandt. Er macht nicht nur die Stimmen nach, er tut das in Form kleiner entlarvender Sketche. Es ist nicht so sehr die Entthronung der Großen, als vielmehr die Zauberei, die mich dabei fesselt. Der
Imitator fängt seine Opfer, macht sie klein und schluckt sie. Und da sitzen sie nun als Männchen in seinem Kehlkopf und müssen tun, was er will. Er hat keinen«Mann im Ohr», sondern im Mund. - Sonderbar, daß es keine weiblichen Stimmenimitatoren gibt.
    Kuby, dessen ausgezeichnetes Buch«Mein Krieg»ich immer noch lese, führt als abschreckendes Beispiel für Matriarchate die USA an.
    «Gefangener der Wälder», deutscher Kriegsgefangener, zehn Jahre verborgen. Im sogenannten Baltikum war es möglich«unterzutauchen», da gab es Leute, die aus Haß gegen die Russen Flüchtlingen Unterschlupf gewährten. Kein Thema für unsere Jungfilmer. In den 50er Jahren hat es mal einen Flüchtlingsfilm gegeben:«Soweit die Füße tragen». Ich nehme an, daß es sich dabei um ein extrem kitschiges Erzeugnis handelt.
    Japanische Soldaten, die sich sogar 16 Jahre lang versteckten. Was täte ich, wenn nachts einer ans Fenster klopft? Die Baader-Meinhof-Verberger blieben übrigens unbestraft.«Das wäre ja auch noch schöner!»heißt es.

Nartum
So 19. März 1989
    Welt am Sonntag: Späth fordert die Union zur Hilfe für Helmut Kohl auf. Heftige Diskussion um Kabinettsumbildung - Stoltenberg, Scholz und Lehr sollen bleiben
    Sonntag: Christa Wolf lesen. Von der Wirkung eines Werkes. Von Rulo Melchert
     
    Ich:«Die Vögel fingen heute an zu schreien.»
    Hildegard:«Schon lange!»
    Ich trank Kaffee in der Bibliothek, mit übergeschlagenen Beinen. Ein Huhn leistete mir Gesellschaft. Dieses Haus muß auf die Gäste schockierend und provozierend wirken. Ich bin, scheint’s, über das Ziel hinausgeschossen. Rätselhaft, woher all die Sachen
kommen, die hier herumstehen. Als ob ich dem Klischee nacheifere, das sich in der öffentlichen Meinung über mich gebildet hat. Die neueste Macke sind alte Musikinstrumente. Eine Tuba - und verschiedene Trompeten.«Die wollte ich mir schon immer kaufen», das ist die Entschuldigung, die ich mir selbst einrede. Ich werde sie unter die Zimmerdecke hängen und sagen:«Mir hängt der Himmel voll Trompeten.»
    Als ich neulich im TV Zadek sah, in seinem einfachen Zimmer, küchenartig, dachte ich, so geht’s auch.
    Brahms Frauenchor mit Harfe und Horn.
    Spaziergang. Die gelben Blüten des Ilex platzen auf, eine erste Amsel, o Wunder. Leider mußte ich während des Morgenspaziergangs zwanghaft das Lied«Heilig Vaterland»singen:
    Sieh uns all’ entbrannt
Sohn bei Söhnen

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