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Alkor - Tagebuch 1989

Titel: Alkor - Tagebuch 1989 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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stehn
du mußt bleiben Land -
wir vergehn.
    Wohl eine Weltkrieg-I-Sünde von Rudolf Alexander Schröder. Ich sehe die Gesichter der Pimpfe vor mir, am Lagerfeuer. Der gefilmten Pimpfe, denn so verwegen, wie sie in Dokumentarstreifen aussehen, waren sie nie. Übrigens sieht man im TV, wenn es um diese Zeit geht, immer dieselben Aufnahmen. Ich würde gerne in den Archiven nachstöbern und dann Filme machen, aber sie lassen mich ja nicht. Wenn man nur mehr Zeit hätte!
    Vor Mitternacht: Zemlinsky. Geht nicht. Wenn’s einem selbst schon stinkt, kann man so was nicht hören, und schon gar nicht vorm Einschlafen. - Was ich mir aufgeladen habe!
    Zemlinsky sei der Schwager Schönbergs gewesen, lese ich. Schon recht!«Schwager», ein etwas sonderbarer Ausdruck für die Höhenlage, in der sich diese Leute befanden.
    «Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit …»Das mußten wir 1943 auswendig lernen, in einer Zeit, in der alle Pimpfe angeblich einer vormilitärischen Ausbildung unterzogen wurden. Wir machten linksum! und rechtsum! und lernten die«Bürgschaft».

    Vor 20 Jahren starb Mutter. Letzte Worte sind nicht überliefert. Sie sackte den Pflegern weg, als sie gerade die Tubennahrung in den Nippel gespritzt kriegte.«Alles Kinder!»sagte sie bei meinem letzten Besuch, einen Tag vorher.«… sind alles Kinder!»Sie meinte damit die Hilfsschwestern, die anderes im Kopf hatten, als eine Greisin zu pflegen.

Nartum
Mo 20. März 1989
    Bild: Jetzt reicht’s/Deutsche Rente für Polen-General
ND: Über 100 000 Besucher in Berliner Kulturstätten

Nartum
Di 21. März 1989
    Bild: Schweinerei des Jahres / Sex mit Gekreuzigter in ARD/ Vor 3,25 Millionen/Proteste/Wiederholung abgesetzt
    ND: Unser Ziel im Wettbewerb: Mit erfülltem Plan zur Wahl

Nartum
Mi 22. März 1989
    Bild: 8 Häuser besetzt/Momper ließ räumen/Danach Krawalle in Kreuzberg/Steine auf Polizisten - Kaiser’s geplündert/ Steffi schläft jetzt in Schwarz/Exklusiv: Unser Tennis-Star zeigt den BILD-Lesern ihr neues Haus in Florida
    ND: Nationale Konferenz über Resultate und Aufgaben der DDR-Umweltpolitik/Zweitägige Beratung in Berlin begann
     
     
    Literatur-Seminar 19.-22. März
     
    Erstaunlich, es ist schon das 26. Seminar. - Diesmal ist’s erholsam. Dadurch, daß die Abend-Autoren auch den nächsten Vormittag
mit übernehmen, habe ich weniger zu tun. Aber was fängt man mit der freien Zeit an? Im Bett liegen? Lesen? Unruhig streiche ich umher, was so aussieht, als wollte ich die Leute kontrollieren. Abends schenke ich die Getränke aus. Sie haben trotzdem Hemmungen vor mir, halten Abstand.
    Eine Dame ist dabei, die mit Hildegard kungelt, sie sagt:«Was, Sie kennen mich nicht? Meine Tochter ist doch die bekannte Filmschauspielerin. »Riemann heißt sie. Sie schenkte uns ein schönes, selbst gebatiktes Tuch.
    Manche sind schon zum dritten Mal da.
    Die Leute wollten Sowtschicks Schwimmbad sehen. Einer fragte, wo denn die Kanalschwimmerin sei? Manches kommt ihnen bekannt vor, die Glöckchen im Bibliotheksgang und die Allee. Vesper, Hahn, Paul Kersten, Kunert, Wohmann, Rühmkorf.
    Die Gedichte von der Hahn kann ich bald auswendig. Sie liest jedes Mal dasselbe - und immer mit der gleichen Betonung. Und immer liest sie extra leise. Trotz unserer Lautsprecheranlage, die übrigens noch nie richtig funktioniert hat, ist sie nicht zu verstehen. Aber die Leute halten’s aus. Ich habe, wie das vorige Mal, ihre Lesung auf Band aufgenommen. Möchte mal sehen, ob sie die Gedichte deckungsgleich vorliest.
    Kunert erzählte von seinen Katzen, mit denen er zusammen im Bett schläft. Hunde haßt er, die Katzen dürfen das Haus nicht verlassen. Ein angenehmer, umgänglicher Mensch, der Spielzeug sammelt und meine Burgen mit einem schnellen seitlichen Blick mustert. Eine schreckliche Kindheit hatte er.
    Wer mal was Gutes lesen will, kaufe sich seine beiden Reisebücher:«Der andere Planet»und«Ein englisches Tagebuch».
    Dorfroman: Unsere Hühner mausern leider, sind also ganz unattraktiv. Man zog uns dafür zur Verantwortung, ob wir die Hühner irgendwie schlecht behandeln oder wie oder was?
    Allerhand Plankton gefischt. Als ob man aus dem fahrenden Auto sich hinauslehnt und Blumen pflückt.

Nartum
Do 23. März 1989, Gründonnerstag
    Bild: Der Amokläufer/Computer-Mann hatte immer Kopfschmerzen
    ND: Zwei Drittel der Kandidaten in Wahlkreisen bestätigt / Umweltpolitik ist in der DDR Sache der ganzen Gesellschaft
     
    Liege im Bett, Fieber, Magenwühlen. Wärmflasche.

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