Alkor - Tagebuch 1989
desto lauter, dann reicht es ihm. Im Alter fängt die Frau an zu krähen, und der Mann macht«gluckgluck».
KF kam braungebrannt. Ein edler Anblick. Er macht ein Praktikum:«Da kennen natürlich alle meinen Namen.»- Renate sagte, man sei schon so daran gewöhnt, überall wo sie hinkommt:«Ach, sind Sie eine Tochter von …»Jetzt in Kassel sei das anders, da kenne mich niemand.
Ich sagte:«Wie gut, daß ich nicht Wallraff bin, dann würden alle Leute sagen: Um Gottes Willen!»
Renate:«Das sagen sie jetzt auch. Die sagen: Du kannst ja nichts dafür, aber was dein Vater so schreibt …»- Als sie selbst zum ersten Mal den T/W-Film gesehen habe, sei ihr das wie ein Ohnsorg-Stück vorgekommen.
Wie gut, daß ich bereits zu verkalken beginne.
Besucher. Ein Ingenieur mit Frau und Kind, nette Leute. Eine Frau, auf weibliche Art bescheuert. Ich sprach vom Licht, das
von Adlerkrallen gehalten wurde (Anfang von T/W). Adlerkrallen = Pleitegeier = Nazi-Symbol. - Da sagte die Frau:«Wie heute im Bundestag, da hängt ja auch der Adler.»Berwald-Streichquartette, befremdlich. Begleitheft nur in englischer und französischer Sprache. - Ich muß diese Musik abstellen, dem Munterhund gefällt sie auch nicht, er bellt.
In der Nacht«Frenzy», zum fünften Mal. Wie er sich mit der Schlipsnadel in den Zähnen stochert. 23 Uhr. - Ich bin traurig und pfeife vor mich hin.
Koblenz
Mi 17. Mai 1989
Bild: Moabit: Ausbrecherkönig heiratet Polizistin
ND: Mengistu Haile Mariam herzlich von Erich Honecker willkommen geheißen
Lesung in Koblenz, Ulla Hahn getroffen, in den falschen Zug gesetzt. So was ist mir noch nie passiert! Mit Ulla Hahn im Zug darüber gesprochen, daß sie ein Literatur-Seminar in eigner Regie bei uns machen könnte.
Im Speisewagen Schnitzel und Erdbeeren. 30,80 DM.
Eine Leserin schreibt: Sie habe eine Firmen- und Familienchronik geschrieben,«die beinhaltet, wie das Leben eines Geschäftshauses (Groß- und Außenhandel, also überregional) am Rande einer abgeriegelten Weltmacht aussah.»Ihr Ms. ergäbe einen einmaligen Roman oder sogar einen Film.
Ungeschriebene Bücher: Die Bibliothek der ungeschriebenen Bücher. Oder«unveröffentlichten», wäre ganz interessant.
Im TV Aufnahmen von Wyschinski und seinem Publikum, das sich beifallklatschend über die Todesurteile freut, die er beantragt. Die Todeskandidaten gesenkten Kopfes. Sie denken: Gut, daß wir gefilmt werden, vielleicht kriegen Frau und Kind die Aufnahmen zu sehen, eines Tages. 1921: Russischen Bauern wird das Einschlagen von Nägeln beigebracht,
im Takt. So schlägt man Nägel ein, wird ihnen gesagt. Habt ihr das jetzt endlich kapiert?
Qualität dieser Filme ist wesentlich besser als die älterer Fernsehfilme, die historische Substanz der TV-Filme zerfällt. Die Vergangenheit löst sich auf.
Köln/Nartum
Do 18. Mai 1989
Bild: Von der RAF zu«Praxis Bülowbogen»/ Ex-Terrorist wird Star bei Pfitzmann
ND: Freundschaftliche Begegnung zwischen Erich Honecker und Mengistu Haile Mariam
T: Man hat mir den Schädel rasiert, um mich zu operieren. Angeblich habe ich ein Blutgerinsel im Gehirn. Der Arzt nähert sich mir mit dem Skalpell. Ich sage:«Ohne Betäubung?»Er gibt mir eine Spritze und schabt mir mit dem Messer die Falten auf der Stirn weg.
Heiß.
PEN-Tagung in Köln. Ich war schon im Savoy und breitete mich da aus, da dachte ich plötzlich:«Nee! Ab nach Hause!», und machte, daß ich fort kam. Auf PEN-Tagungen wird man ja doch nur scheel angesehen. Kenne ja auch niemanden.
Im Speisewagen ein Camembert, Tomatensuppe, Erdbeeren, Saft: 19,25 DM. Immer gibt es im Speisewagen Menschen, die sich auffällig benehmen, laut reden also. Ein Säufer mit silbernem Siegelring und Haaren auf der Brust. Eine einzelne Dame, die zu ihren Kindern fährt. Mein Jahrgang? Sieht älter aus. Vielleicht war sie einmal eine fesche Arbeitsmaid? (Die Nachrichtenhelferinnen waren hübscher als die Maiden. Vielleicht, weil die Maiden zuviel Suppe essen mußten: Die gingen aus dem Leim.)
Brief einer Dame aus Dortmund. Sie hat das Gästebuch eines Soldatenheims aus Rußland und Norwegen gerettet:«Das Heft ist ein wenig vergammelt, mußte ich es doch bei der Entlassung aus
der Gefangenschaft auf den Leib gebunden durch die verschiedenen Kontrollen schmuggeln.»- Ihr lieben Tagebuch-Schreiber, was wäre ich ohne Euch. - Daß man Gefangenen Tagebücher wegnimmt und verbrennt, zeugt von schlechtem Gewissen. Meine Tagebücher von 1945, ob es sie noch gibt? Das
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