Alkor - Tagebuch 1989
haben mich ergriffen. Schlesien verblaßt dagegen. - Wie man in Rostock gelebt hat in den Nachkriegsjahren, ohne einen Schimmer gehabt zu haben von der Hölle.
«Echolot»: Das ist auch eine Frage der Typographie.
Im TV war eine originelle Diskussion zu verfolgen über: Was ist Kunst? Die Teilnehmer wirkten wie falsche Schauspieler. Zwerenz mit seiner sonoren Stimme, die unangebrachtes Zutrauen erweckt, eine Frau, bei deren Anblick man dauernd dachte: Sie hat eben keinen Pimmel. Ein selbstgefälliger Theater-Intendant mit Brecht-Brille, ein dicker Mann mit langem Bart, Katholiken - also, das war schon ein Stück! Köstlich! Es waren dieselben Intellektuellen, die der im Frühjahr verstorbene Thomas Bernhard als«saublöd»zu bezeichnen pflegte.
Michael Degen als Hitler, er hatte ihn ganz gut studiert, aber
alles war in dem Film irgendwie verkehrt. Blomberg trug das Kriegsverdienstkreuz, das erst zwei Jahre später gestiftet wurde. Hitlers Reichskanzlei, eine kleine Amtsstube - nichts paßte. Da hat mich Syberberg mit seinen Puppen schon eher überzeugt.
Ich möchte mal einen Film zusammenschneiden aus Aufnahmen von Hitler-Darstellungen.
Lesung in Alzenau-Hörstein. Spargel gegessen, hinterher Himbeeren mit Sahne. Einen Mann von Ford getroffen, Reklame-Abteilung, die Ablehnung meines Polen-Artikels besprochen, bekakelt. Es habe zuviel von«deutschen Eichen»daringestanden, sagt er. - Ich fragte Hildegard gestern, ob sie auf mein Bücherschreiben eifersüchtig sei.«Ich bin auf alles eifersüchtig. »Sie beherrscht sich aber gut. - Wenn wir allein sind, geht’s am besten. Die Zeit der Lesereisen ist die schwierigste, für beide. Mich nimmt es«kräftemäßig»mit, sie vermißt mich und denkt sich alles mögliche aus.
Nartum
So 14. Mai 1989, Pfingstsonntag
Welt am Sonntag: Schewardnadse warnt die NATO vor Atom-Modernisierung / Sowj et-Außenminister droht in Bonn, die Verschrottung von SS-23-Raketen einzustellen
Sonntag: Laßt uns in der Reihe gehen. Jugend im Lied.
Von Fritz-Jochen Kopka
Pfingstsonntag - also Spargel.
«Echolot»: Sie werden mich wieder als Sammler bezeichnen. Das Becken füllt sich, der Grund ist schon bedeckt. Das Jahr’45 ist am interessantesten. Dahin zielt das Ganze, das ist das Gully, in das alles weggurgelt. Ich habe mir aus einer Plastikfolie ein Transparent gemacht mit den Stichworten für das ganze«Echolot»und in der Bibliothek ins Fenster gestellt.
Dorfroman: Im Garten werde ich vom Geruch des Schafsbockurins
umweht. Nachts versammeln sie sich auf meinem Hof vor der Bibliothek. Sie drängen sich in die Ecke zwischen Bibliothek und Veranda, sie wollen beim Menschen sein. Wenn ich lese, bin ich nur zehn Zentimeter von ihren pumpenden, ausdünstenden Körpern entfernt.
Unser Wäldchen verwandelt sich in einen Leichenhain. Vielleicht wäre das Knuspern der feindlichen Insekten mit einem Super-Sonar-Gerät hörbar zu machen. Das müßte man verstärken und ihnen zublasen: Hört euch das an! 60 000 Mark futsch. Dafür hätte ich mir lieber das Palmenhaus bauen sollen. Zweieinhalb Stunden Mittagsschlaf, tief und voller Träume. Ich wachte wie ein Kind, verschwitzt, auf. Als hätte sich das warme Fleisch gesetzt.
Ein Antiquar bietet mir Fotoalben an. Ich werde ihm zur Bezahlung ausrangierte Bücher schicken.
Das Besondere und Neue am«Echolot»ist, daß ich nationale Störgeister und sogar Nazis zu Wort kommen lasse, ohne daß man mir das anlasten kann. Ohne schulmeisterliche Kommentare war dergleichen bisher nicht zu haben.
Roberts Sprung über den zur Matratze gedrückten menschlichen Kadaver, die KZler-Jacke am Forsythienstrauch und Friedland, der alte Mann, der seine frisch aus dem Osten eingetroffene Tochter begrüßte. Er überließ das Begrüßen den Frauen und ging weinend auf und ab: Das bin ich.
Dorfroman: Aus der Entfernung sehen die Schafe ganz hübsch aus, trotz ihrer überdimensionierten Geschlechtsorgane. Bei meinen Rundgängen begegnen sie mir manchmal, biestern über den Weg, oder laufen hinter mir her. Ich rede dann zu ihnen, sie sollen den Unfug lassen.
Die originelle Unterschätzung der Chronik.
Als ein Volksschriftsteller zu gelten, hat was Tragisches an sich. Völlig unsensationell wirken die großen Veränderungen dieser Monate: Ungarn, und daß es jetzt sogar Lenin ans Leder geht. Alles kommt sachte daher, kleinweis’, stückweis’, und keiner erschrickt. Der deutsche Bundesstaat nähert sich. Und man läßt nicht Messer und Gabel fallen. - Sie
Weitere Kostenlose Bücher