All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman
Veränderungen in der Dynamik ihres Stadthauses mit vier Wohnungen. Vier Wohnungen, vier Mieter. Fünf, wenn man den Hund Stone dazuzählte. So war es, und so würde es bleiben. Bis in alle Ewigkeit.
»Ich bin überrascht«, sagte Jury, »dass Sie dem harten Los obdachloser Hunde nicht mitfühlender begegnen.« Nein, war er nicht. Carol-Anne musste Obdachlosigkeit leibhaftig vor sich sehen. Ein realer Hund in Bedrängnis würde ihr Mitgefühl erregen. Mit Abstraktionen wie »Obdachlosigkeit« konnte sie nicht viel anfangen.
»Sie sind doch den ganzen Tag außer Haus. Was soll denn da der arme Hund machen?«
»Spazieren gehen mit Ihnen und Stone.«
Sie ließ sich genüsslich aufs Sofa sinken. Nur Carol-Anne brachte so ein genüssliches Niedersinken zustande – ließ Staubwölkchen aufsteigen, wirbelte ihre rötlichbraune Mähne zu Wellen und Löckchen auf, brachte Kissenarrangements durcheinander. Jury genoss das genüssliche Niedersinken.
»Vergessen Sie nicht, dass ich auch einen Job habe«, sagte sie.
»Ja, aber der ist plan- und zielloser als meiner.« Konnte irgendein Job plan- und zielloser sein als seiner?
»Plan- und ziellos? So nennen Sie das also? Andrew unterwirft uns einem straffen Zeitplan.«
Mit Andrew war Andrew Starr gemeint, Inhaber des Starrdust, des kleinen Ladens in Covent Garden, wo sie arbeitete. »Andrew«, erwiderte Jury, »unterwirft Sonne, Mond und Sterne und periphere Planeten einem straffen Zeitplan, aber nicht seine Angestellten.« Andrew war Astrologe, und zwar ein sehr populärer. Vermutlich weil er tatsächlich Astrologe war und gute und schlechte Prognosen erteilte, hauptsächlich jedoch gute. »Damit meine ich nur, dass Ihr Zeitplan flexibler ist als meiner.«
Jury fragte sich, wieso er ihr eigentlich so zusetzte. Er hatte gleich heute früh ein paar Anzeigen in die Zeitung gesetzt. Vermutlich würde der Hund dieses Haus oder diese Wohnung sowieso nie zu sehen kriegen, sondern gleich in dem Tierheim landen, das Dr. Kavitz erwähnt hatte. Er erzählte Carol-Anne bloß für den Fall der Fälle von dem Hund. Welchen Fall der Fälle?
»Jedenfalls muss ich ihn heute früh vom Tierarzt abholen.« Er war bereits im Regenmantel und hatte die Schlüssel in der Hand. Würde sie endlich hier abziehen? Offensichtlich nicht.
Sie saß da und feilte vor sich hin. »Also, bis dann.«
»Bleiben Sie ruhig sitzen, ich finde schon allein hinaus.«
Jury staunte über die Verwandlung, die mit dem Hund vor sich gegangen war: Das Fell war weicher, glänzte sogar ein wenig. Und das Gesicht des Hundes, sein ganzer Kopf, war wunderschön
geformt. Jury wusste gar nicht, wieso ihm das vorher nicht aufgefallen war.
»Erstaunliche Genesungskräfte«, sagte Dr. Kavitz. »Unglaubliche Resilienz. Diese Hunde sind äußerst zäh und robust. Allerdings nicht als Stadthund geeignet. Die brauchen eine Farm oder so was in der Richtung.«
Jury sagte: »Ich habe Anzeigen in die Times und den Telegraph gesetzt. Dabei fiel mir ein: Wenn sich jemand darauf meldet, woher soll ich dann wissen, dass es wirklich der Besitzer ist? Schließlich werden Hunde ja oft gestohlen und zu Forschungszwecken verkauft.« Er kam sich lächerlich vor. Ein Detective Superintendent und konnte nicht mal betrügerische Besitzansprüche von echten unterscheiden? Du liebe Güte.
»Gute Frage. Wie haben Sie ihn in der Anzeige denn beschrieben?« Der Arzt prüfte das Gebiss des Hundes.
»Na ja, mittelgroß, schwarz, weiß, kupferbraunes Fell, fehlendes Halsband. Fundort: Farringdon Road.«
»Aber nicht, dass es ein Appenzeller Sennenhund war.«
»Nein.«
»Dann ist ja gut. Falls jemand anruft, fragen Sie nach der Rasse. Die ist selten, das errät einer nie. Und wenn die sagen, sie sprechen im Auftrag des Besitzers, kennen aber die Rasse nicht, na, dann wissen Sie ja, was Sie davon halten können.«
Jury lächelte. »Klar.«
Der Arzt hatte den Hund in eine große Hundetransportbox gesetzt, in die zum Sehen und Atmen Löcher geschnitten waren.
Jury nahm sie in Empfang und dankte ihm erneut für alle seine Mühe.
»Wenn ich mir das bisschen Mühe nicht machen würde, wäre ich in der falschen Branche, meinen Sie nicht? Solche Notfälle kommen immer mal wieder vor. Ich kann mir denken, dass Sie das Gleiche erleben – ein Notfall nach dem anderen. Hier ist die Adresse in Battersea, True Friends Tierasyl. Ich rufe dort an und sage denen, dass Sie kommen – das heißt, falls Sie möchten.«
»Ist in Ordnung.«
»Okay, dann
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