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All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman

Titel: All die schoenen Toten - Ein Inspektor-Jury-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Sie natürlich schon. Sie haben es ja geschrieben. Fangen wir an mit ›S.W.‹ Woher soll ich wissen, wer das ist?«
    Ein paar perlenbesetzte Reifen um ihren Arm zurechtrückend, sagte sie mit einiger Ungeduld: »Nun, wie viele S.W.s kennen Sie denn?«
    Hoffnungslos! Aber tapfer machte Jury weiter: »Das Komische dran ist, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, ›Dachte S.
sollten wissen‹ auszuschreiben, aber das, was ich wissen sollte, ist in Kürzeln geschrieben.«
    Sie kramte in ihrer kleinen Abendtasche aus blauem Satin und förderte eine Nagelfeile zutage. »Sinn und Zweck des Ganzen war Folgendes …«
    Nein, von Sinn und Zweck konnte keine Rede sein. Sie ließ sich jetzt nur etwas Passendes einfallen. »Falls zufällig jemand – eine unberechtigte Person …«
    (Das war gut.)
    »… hier hereingelangen sollte, um nach geheimen Informationen zu suchen …«
    »Wie Jason Bourne, wollen Sie damit sagen.«
    »Den kenne ich zwar nicht, aber, okay, das ist ein Beispiel. Falls Jason hier hereingelangen sollte, würde er sich doch sofort auf Ihr Nachrichtenblöckchen stürzen. Und wüsste über alle Ihre Ermittlungen Bescheid.«
    Da sie mit dieser Erklärung zufrieden schien, sagte er: »Wieso haben Sie es mit dem Magneten an der Kühlschranktür befestigt?«
    Es entstand eine Pause, während sie an einem lästigen Nageleckchen herumfeilte. »Na ja, ich habe es zusätzlich vorsichtshalber von Ihrem Zettelblock abgemacht. Es würde nämlich niemand drauf kommen, dass unter dem ganzen anderen Zeug am Kühlschrank auch eine wichtige Nachricht ist, die derjenige womöglich lesen möchte.«
    »Brillant.« Er musterte sie in ihrer ganzen Selbstgefälligkeit. Dann sagte er seelenruhig: »Sie haben etwas vergessen.«
    Das ließ ihre Augenbrauen in die Höhe schnellen. »Was denn?«
    »Den Durchdruck.« Erfreut über ihre Verwirrung, stand er auf, trat ans Telefontischchen und kehrte mit dem Zettelblock zurück. »Sehen Sie hier?« Er tippte auf die leere Seite, auf der die mit Bleistift geschriebenen Wörter schwach auszumachen waren. »Genau hier. Das machen Spione immer, die schauen sich den Durchdruck auf der Seite darunter an.«

    »Tatsächlich?« Die Neuigkeit scherte sie nicht.
    »Absolut. Jason wäre in null Komma nichts dahintergekommen.«
    Carol-Anne seufzte, ließ ihre Nagelfeile in die Tasche fallen, klappte sie zu und stand auf. »Sagten Sie nicht gerade, kein Mensch könnte begreifen, was da draufsteht?« Dann hüpfte sie in duftendem Saphirgewirbel aus dem Zimmer.
    Jury lauschte dem Getrappel ihrer Riemchensandalen auf der Treppe, stand auf und stapfte an die Tür. Mit der Sturheit eines Sechsjährigen rief er die Treppe hinunter: »Ich bin aber nicht der verdammte Jason Bourne, okay?«

11. KAPITEL
    Ein derart unordentliches kleines Mädchen wie das, das da ungebeten neben seinem Tisch am Fenster stand, hatte Melrose noch nie gesehen. Es war eher eine Art Lumpenpuppe als ein Mädchen, wie ein übrig gebliebener Stoffrest nach dem Kleiderzuschneiden, ein Fetzen, ein reines Überbleibsel. Große, rehbraune Augen, umwölkt von vergangenen oder künftigen Tränen, waren erwartungsvoll auf ihn geheftet.
    Was blieb ihm übrig? Er war bloß ein Mann mittleren Alters – wenn auch ein, wie er sich in Erinnerung rief, reicher Mann, für den Fall, dass sie sich ein eigenes Haus im schottischen Hochland oder in Belgravia wünschte, um den Absprung von diesem Pub und ihren Eltern zu schaffen (von denen bislang nichts zu sehen war). Wie konnte er diesem Kind, das zurückgelassen wurde, als Charles Dickens das Buch zugeklappt hatte, also helfen? Sie schien seinen Buchseiten entsprungen zu sein und hilflos durch die schmalen Straßen von Chesham zu wandern, auf dem Rücken ein Schild mit der Aufschrift »Streunendes Kind«.
    Er hatte während dieser Überlegungen weitergelesen – oder jedenfalls so getan -, argwöhnisch beäugt von der kleinen Dickens-Epigonin. Nun sollte er vielleicht wenigstens so nett sein und »Hallo« sagen oder »Warum starrst du mich eigentlich an …?«. Nein, das traf es nicht richtig. Wie wäre es stattdessen mit: »Mein Name ist Melrose Plant, und wer bist du …?«
    Sie ersparte ihm jedoch, sich etwas einfallen zu lassen, indem sie sagte: »Man hat meine Katze ermordet.«
    Da fiel ihm aber vor Schreck die Times aus der Hand! Bestimmt
war es nicht das Kind, das da soeben gesprochen hatte, sondern die alte Frau am Ecktisch mit dem Wettschein, deren Hand sich gerade langsam auf ihr Bierglas zu

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