Alle auf Anfang - Roman
und sehr dezent werden bei Anklicken auch die Gebühren des Internats offenbart. Alma klickt zuerst das Stichwort »Schedule« an. Ein ausgefeilter Fächerkanon tut sich vor ihren Augen auf. Ihr Blick gleitet über die verschiedenen Sprachangebote, über Literature und Technical Courses und bleibt hängen bei den zahlreichen Courses in Economics.
Vor ihr auf der Schreibtischplatte liegt die Broschüre eines anderen englischen Internats. Sie schlägt die entsprechende Seite zu Economics auf und vergleicht die Fächerangebote mit denen auf dem Bildschirm. Ab und zu nickt sie zufrieden. Sie hat die bessere Wahl getroffen. Abschließend klickt sie noch das Gebührenfeld an und vergleicht wieder mit der vor ihr liegenden Broschüre. Ein tiefer Seufzer entfährt ihr. Die bessere Wahl hat ihren Preis. Sie klickt das günstigere Internat weg und zieht den Vertrag vom Stapel auf ihrem Schreibtisch. Aus der Schublade nimmt sie den Füllfederhalter, löst die Kappe und betrachtet die schöne geschwungene Feder. Jasper wird sie hassen dafür, wenn er überhaupt noch zu Gefühlen fähig ist. Aber sie hat keine Wahl. Sie hat dieses Kind in die Welt gesetzt, sie muss ihm eine berufliche Zukunft ermöglichen. Und da er sich den ursprünglich von ihr vorgesehenen Weg verbaut hat, muss sie nun andere Maßnahmen ergreifen. Das ist sie ihm schuldig. »Das bekommen wir vom Tisch«, hat ihr Anwalt gesagt, den sie gleich nach Jaspers Rückkehr und einem weiteren Anruf des ermittelnden Polizisten aufgesucht hat. Doch mag es auch vom Tisch sein, in den Akten wird es bleiben. Im Gedächtnis. Im Haus. Gäbe es einst eine Biografie zu schreiben, so würde die einen dunklen Absatz enthalten. Über ihn und auch über sie.
Von oben ist ein blecherner Tusch zu hören. Wütend setzt Alma die Federspitze auf das Papier. Beinahe hätte sie einen Tintenklecks gemacht. Mit Schwung setzt sie ihre Unterschrift auf den Vertrag. Sie holt diesem Jungen die Kastanien aus dem Feuer, und er hat nichts Besseres zu tun, als sein blödes Computerspiel zu spielen. Seit Wochen ist er nicht mehr aus seinem Zimmer gekommen. Das Essen hat sie ihm vor die Tür gestellt, hat ihn in der Schule entschuldigt, hat vor seinem Zimmer gesessen und gewartet, bis er herauskäme. Vergeblich. Ein paar Mal ist sie dort eingeschlafen, und wenn sie aufwachte, stand gebrauchtes Geschirr auf dem Tablett vor ihr. Sie hat es mit Beschwörungen versucht, Versprechen, Drohungen. Vergeblich. Sie kann nicht mehr. Sie muss auch nicht mehr. Sie hat ihr Möglichstes getan. Für alles Weitere gibt es Einrichtungen.
Sie zieht eine der Schreibtischschubladen auf und nimmt einen braunen Din-A-4-Umschlag heraus. Steckt den unterschriebenen Vertrag hinein, klebt den Umschlag zu und sucht aus einer kleinen Silberdose, die auf dem Schreibtisch steht, die passende Marke heraus. Säuberlich klebt sie diese auf den Umschlag und schreibt die Adresse darunter.
Als alles erledigt ist, nimmt sie die Flasche, die neben der Tastatur steht, und schenkt sich nach. Trinkt, lehnt sich im Schreibtischstuhl zurück und schließt die Augen. Spürt den Alkohol im Hals brennen. Was, wenn er sich weigert? Sie hat noch von dem Medikament. Sie schlägt die Hand vor den Mund, doch das Schluchzen bricht trotzdem aus ihr heraus. Schüttelt sie durch und durch. Und das Haus um sie her wird größer und größer.
In einem Bus Richtung Deutschland
Kommt er einfach wieder. Immer wieder. Egal, wie oft sie ihn zurückschicken. Dorthin, was sie seine Heimat nennen. Warum bleibst du nicht in deiner Heimat, Bela? Die brauchen dich dort, wie soll das sonst je was werden? Wie soll es denn werden? So wie bei ihnen? Wo einer Durst hat und man ihm Gift gibt zu trinken? Kann man nur Geld verdienen bei ihnen, zu Hause ist woanders.
Kann er nicht schlafen. Sein Sitznachbar schläft, die Männer vor ihnen schlafen. Sind alle zum dritten, vierten Mal auf dem Weg. Lehnt er den Kopf an die Scheibe und sieht hinaus in die Nacht. Keine Straßenbeleuchtung. Ist das noch nicht Deutschland.
Dunkel war das Dorf, klamm und so klein, als er zurückkam. Hat man ihm den Magen ausgepumpt in der Klinik und wollte noch mehr aus ihm herausholen. Ist er gegangen, ehe sie nach den Papieren fragen konnten. Ehe sie ihn ausfragen konnten, bis er leer wäre. Ist er einfach fort aus diesem Krankenhaus, diesem Deutschland, heimlich. Das Geld von drei Monaten hat die Busfahrt gekostet und sonst hatte er nichts bei sich außer Schokolade für die Kleinen. Dunkel
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