Alle Menschen werden Schwestern
es nachhaltig wirken kann und doch den meisten entgeht. Nehmen wir z. B. den neuerdings so beliebten Ausdruck Gewalt in der Familie (domestic violence). Hier werden die Täter (Männer) mit den Opfern (Frauen und Mädchen) in einen Topf, Familie/domestic, geworfen und damit ungreifbar und unangreifbar gemacht.
Gefahr liegt weniger in der Etymologie als in der Grammatik unserer Sprachen — etwas, mit dem alle tagtäglich selbstverständlich umgehen und über dessen Funktionieren fast niemand Bescheid weiß, auch LinguistInnen nur bruchstückhaft.
Mary Daly hat uns auf viele Sprachpathologien aufmerksam gemacht. Sie ist, wie gesagt, eine ungeheuer scharfsinnige Kritikerin nicht nur des Patriarchats, sondern auch seiner Sprache. Aber ihre etymologischen Wörterbücher sollte sie mal vom Schreibtisch in die Rumpelkammer verfrachten, Abteilung patriarchalische Kuriosa. Und was ihre Wortspiele betrifft, so könnten zumindest wir Nicht-Englischsprachigen auf viele davon gut verzichten. Marys Werke wären dann auch schlanker, Erika brauchte beim Übersetzen nicht solche Schmerzen zu leiden und wir nicht beim Lesen, wir brauchten keine Daly-Studier-Zirkel zu gründen, nicht so viel zu bezahlen und nicht so schwer zu schleppen.
1987
Wie mann aus seiner Mördergrube ein Herz macht: Strategien männlicher Imagepolitik
Vorbemerkung: Der erste Teil dieses Artikels, für den ich genau eine Nacht Zeit hatte, war eine Auftragsarbeit für die Basler Zeitung zum Internationalen Tag der Frau (8. März) 1987. Vorgabe war: »10 - 11.000 Buchstaben über [die] Gewalt gegen Frauen in der Zeitungssprache«. Wie wird in der Presse Gewalt gegen Frauen dargestellt? Und wie schaffen es die Schreiber, den Frauen dabei quasi noch ein zweites Mal Gewalt anzutun?
Ein Jahr zuvor hatte ich, auf Einladung des Vereins »Frauen helfen Frauen« in Friedrichshafen, einen Vortrag mit ähnlicher Thematik gehalten. Die Frauen hatten einige Monate lang Texte aus der Regionalpresse gesammelt, die von Gewalt gegen Frauen handelten. Diese Texte hatte ich analysiert und dabei das Drei-Phasen-Modell [s.u.] entwickelt. Ich habe den Vortrag frei gehalten, hatte mir während der langen Zugfahrt von Hannover nach Friedrichshafen nur ein paar Notizen machen können. Die Zuhörerinnen baten mich wiederholt, den Vortrag doch aufzuschreiben, und so nahm ich die Einladung der Basler Zeitung gerne wahr, auch um diesem Anliegen mal ansatzweise nachzukommen.
Im April 1989 veranstalteten die Frauen des Münchner Notrufs für vergewaltigte Frauen und Mädchen Aktionswochen zum Thema »Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen«. In der gemeinsam mit der Gleichstellungsstelle München organisierten Eröffnungsveranstaltung ging es um »Die Vermarktung sexueller Gewaltdelikte in den Medien«. Wieder hatten die Frauen einige Monate lang Texte gesammelt, die von Gewalt gegen Frauen handelten — diesmal überwiegend aus der Boulevardpresse. Ich war als Referentin eingeladen und verlas meinen Text aus der Basler Zeitung. Neu für diesen Anlaß hinzugekommen ist die Analyse der Schlüsselrolle des Wortes Sex bei der Vermarktung der Gewalt gegen Frauen in den Medien (Kapitel 4).
1 Das Problem: Wie macht mann aus seiner Mördergrube ein Herz?
Bekanntlich sind sämtliche Medien noch immer fest in Männerhand: »Nur 13-14 % der Redakteure bei Tageszeitung, Hörfunk und Fernsehen sind Frauen [...] in leitenden Funktionen sind sie so gut wie nicht vertreten.« 73 Seit ein paar Jahren — genauer: seit es die Häuser für geschlagene Frauen gibt — müssen sich nun diese Männermedien mit einem dornigen Problem herumschlagen: Wie berichtet mann über die Greueltaten von »ganz normalen« Männern gegen Frauen und Mädchen, ohne das eigene Nest zu beschmutzen? Denn »ganz normale Männer« — das sind ja auch die meisten Medienmänner, brave Familienväter und Ehemänner, Onkels, Großväter. Und genau diese braven normalen Männer sind es anscheinend, die nicht nur ihre Frauen schlagen, sondern auch ihre eigenen Töchter, Enkelinnen, Nichten vergewaltigen.
Alle zwei Minuten wird in der Bundesrepublik eine Frau vergewaltigt. Jede zweite Frau wurde als Kind von Männern sexuell bedroht, belästigt, »mißbraucht« oder sonstwie terrorisiert. 74 Da kommt eine riesige Menge von Tätern zusammen. Welchem Mann kann frau denn überhaupt noch vertrauen? Der sogenannte männliche Beschützer — wovor beschützt er uns denn?! Gäbe es nicht den Mann als Gefahr, brauchten wir den Mann
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