Alle Menschen werden Schwestern
die ich bei vielen Nicht-Fachleuten, die einfach (und zu Recht!) vom »Wunder der Sprache« fasziniert sind, beobachtet habe. Die meisten Menschen denken über Sprache überhaupt nicht nach und würden sich zum Beispiel niemals fragen, was das Wort Erregung mit Er zu tun haben könnte. Dann gibt es nachdenkliche Frauen, die fragen sich — nicht selten angeregt durch Daly-Lektüre — solche Sachen und kommen neuerdings auf die merkwürdigsten Ideen (etwa, angeekelt: »Nein, ich sage ab sofort nur noch sieregen und Sieregung«). Und schließlich gibt es Linguistinnen, die Sprachen jahrzehntelang studieren und miteinander vergleichen und dabei auf noch merkwürdigere Ideen kommen, etwa zu dem Schluß, daß unsere Sprachen zwar tatsächlich patriarchalisch verseucht sind, aber nicht unbedingt da, wo Mary Daly (und viele andere ebenso nachdenkliche Frauen) es vermutet. Mary rackert sich (wenn auch lustvoll!) ab an einer Stelle, wo gar nix los ist. »Wir [...] fordern die ursprüngliche Kraft der Worte zurück« (S. 204), ruft sie aus und gräbt und gräbt in etymologischen Wörterbüchern (allesamt Produkte von Männern übrigens und nicht selten reine Phantasieprodukte!)
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Das gilt für das von Mary so erbittert bekämpfte Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariens (von dem ich als Protestantin sowieso nur den Namen kannte, über den ich dann höchstens mal gelacht habe) genauso wie für die Etymologie. Die Etymologie (Ableitungsgeschichte) eines Wortes besagt nichts über dessen heutige (positive oder negative) Wirkung in unseren Köpfen — einfach deswegen, weil wir sie in der Regel gar nicht kennen. Das Wort Frau ist verwandt mit Fronleichnam und schloß früher einmal die Bedeutung >Herr< mit ein, aber daran stört sich wohl kaum eine Frau. Das Wort Buch ist verwandt mit Buche und klingt sogar danach — dennoch denkt wohl keine/r bei Büchern zugleich an Buchen. Das Wort passion >Leidenschaft< — ein zentraler Begriff in Pure Lust — kommt von lat. pati >leiden< und ist verwandt mit passiv — keine schöne Verwandtschaft, und Mary verliert denn auch kein Wort darüber. Schade für Erika, denn hier wäre die Übersetzung mal ganz leicht gewesen.
Nein — es gibt keine »Urworte«, auch keine »ursprüngliche Kraft der Worte«. Es wäre auch verwunderlich, wenn die »Urworte« ausgerechnet in den früheren Sprachstufen »des Amerikanischen« zu finden sein sollten! 72 Erika Wisselinck klagt in ihren Fußnoten immer wieder darüber, daß das Englische so viele romanische Elemente enthält (lateinische und französische), die für englische Ohren ganz »natürlich« und »umgangssprachlich« klingen, für unsere deutschen aber schwerfällig und abstoßend »wissenschaftlich«. Weder sie noch Mary Daly verraten, wie das Englische zu diesen »natürlichen« romanischen Elementen gekommen ist: ausschließlich durch Männer — Invasionen männlicher Heerscharen (erst die Römer unter Cäsar, dann die Normannen unter Wilhelm dem Eroberer) auf die Britische Insel.
Der zentrale Punkt meiner Kritik ist: Es bringt wenig, in den »Tiefen« der Sprachgeschichte herumzuwühlen und allerlei »Interessantes« als Beweismaterial ans Licht zu zerren, denn Sprachgeschichte ist an die jeweilige Einzelsprache gebunden, und davon gibt es Tausende. Was für das Englische noch ganz einleuchtend klingen mag, sieht für das Deutsche (oder gar eine afrikanische oder Eskimo-Sprache!) wieder völlig anders aus — Erika Wisselinck kann ein Lied davon singen und tut es auch ausgiebig, besonders ergreifend und überzeugend bei der Übersetzung von Marys Ausführungen zu correspond (S. 247f.)! Die Lage der deutschen, englischen, afrikanischen und der Eskimo-Frau weist aber unter feministischem Aspekt weit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf!
Das für Frauen an der patriarchalen Sprache so Gefährliche ist zwar auch »verborgen«, aber nicht gar so tief, und nur deshalb wirkt es auch. Teils liegt es sogar so unverschämt offen und selbstverständlich zutage, daß es den meisten gerade deswegen lange entgehen konnte und vielen bis heute entgeht, wie etwa das generische Maskulinum im Englischen und zahllosen anderen Sprachen (auf deutsch illustriert u.a. durch die Tatsache, daß 99 Arbeiterinnen und ein Arbeiter zusammen hundert Arbeiter ergeben). Oder es liegt — dies gilt vor allem für frauenfeindliche Implikationen von Teilen des Wortschatzes — so dicht unter der Oberfläche, daß
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