Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
leer, so als hätte sie mit den Tränen auch ihre inneren Organe und vor allem ihr Herz herausgeweint. Langsam stand sie auf, wischte sich Tränen, Lippenstift und Schminke aus dem vom Weinen verquollenen Gesicht und fasste einen Entschluss.
Nie wieder würde sie eine Chemotherapie machen und nie wieder würde sie in diese verdammte Reha-Klinik zurückkehren. Leise packte sie ihre Unterlagen zusammen, kramte noch einige Kleidungsstücke aus dem Kasten, ihre geliebte braune Lederjacke und die Wildleder-Cowboyboots. In diesem Outfit hatte sie Braun zum ersten Mal gesehen, damals, als sie ihn während der Pressekonferenz zum Mord an der österreichischen Miss World so bloßgestellt hatte. Bei dem Gedanken an diese Auseinandersetzung schossen ihr wieder diese verdammten Tränen in die Augen und energisch zog sie den Rotz hoch, schlüpfte in ihre Lederjacke, überprüfte den Sitz ihrer blonden Perücke und versuchte das hektische Scharren von Samsa, der jetzt unermüdlich seine Runden in ihrem Kopf drehte, zu ignorieren. Sie wollte zurück in ihre Wohnung, einfach darüber nachdenken, was mit Braun hätte sein können oder auch nicht, im Grund war alles so verdammt egal.
Das Taxi kam und Kim hatte große Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Der Mund des Fahrers bewegte sich auf und zu und seine Miene war irgendwie sorgenvoll, doch Kim verstand kein einziges Wort, denn in ihrem Kopf tobte, klopfte und pochte es und das weiße Rauschen in ihren Ohren vermittelte ihr das Gefühl, als wäre sie 20.000 Meilen unter dem Meer. Die Fahrt zurück nach Linz bekam sie überhaupt nicht richtig mit, immer wieder zuckten die weißen Blitze vor ihrer Netzhaut und sie hatte plötzlich Brauns Stimme im Ohr, die sie jetzt wohl nie wieder hören würde und am liebsten hätte sie laut aufgeschrien, aber noch konnte sie sich zusammenreißen und den Schmerz bändigen.
Als sie am Straßenrand vor ihrer Wohnung stand und die roten Rücklichter des Taxis langsam in der Nacht verschwanden, kippte sie erneut einen Jägermeister, um Samsa ein wenig zu beruhigen, um das weiße Rauschen, zu dem sich jetzt auch noch diese netzhautdurchdringende Bildstörung gesellt hatte, in Schach zu halten, aber das Scharren, Rauschen und die Bildstörung wurden immer intensiver.
Mit zittrigen Fingern kramte sie einen weiteren Jägermeister aus ihrer Tasche hervor und versuchte mit größter Mühe den Verschluss aufzudrehen. Aber plötzlich änderte sich die Perspektive und mit aller Macht brach das weiße Rauschen über sie herein. Alles in ihrem Schädel pochte, dröhnte, knirschte und rauschte und als sie den Schlüssel aus ihrem Rucksack zerrte und die Haustür öffnen wollte, waren plötzlich ihre Sinne wie ausgelöscht und sie schlug der Länge nach auf den Gehsteig, der noch feucht war von einem nächtlichen Regenguss.
58. Ein Problem scheint gelöst
Zusammengekauert wie ein Hund lag Lenka auf der Leopardendecke vor dem protzigen Schreibtisch von Petersen. Die beiden Männer, die sich flüsternd unterhielten und dabei aus dem Fenster sahen, beachteten sie nicht weiter.
„Die Operation wurde genauso durchgeführt, wie du es gewünscht hast, Glanz“, sagte Petersen und drehte wie immer an seinem goldenen Ohrring, während er seine Mädchen auf dem Vorplatz beobachtete, die gerade zu einer Party mit Politikern in das Nike Hotel an der Donau fuhren. „Langsam verliere ich den Spaß an der Sache! Du hältst mich jetzt schon eine ganze Weile hin! Ich will endlich meinen Anteil!“ Er drehte sich zu Hendrik Glanz und seine kleinen Schweinsaugen glommen tückisch. „Und zwar mit Zinsen! Ich habe die Warterei nämlich satt!“
„Du bekommst ja dein Geld!“ Glanz leckte sich über die wulstigen Lippen und sein Blick irrte planlos durch das Zimmer, blieb an der nackten Lenka haften. „Ich fliege morgen nach Moldawien und treffe den Sekretär des Fabrikdirektors, der mir das Geld dann übergibt.“ Noch immer stierte er auf Lenkas Hintern, der sich als dunkler Schatten gegen die helle Wand abhob. „Bei Octotex läuft alles ein wenig rückständig ab, da kommt tatsächlich einer mit dem Geldkoffer. Aber mir soll es recht sein! Was ist mit der Kleinen da?“, fragte er lauernd und begann zu sabbern wie ein Hund.
„Die ist für einen Polizisten reserviert!“ Petersen schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. „Hey, Lenka, hierher und dann Platz!“
Auf allen Vieren kroch Lenka um den Schreibtisch herum, hockte sich dann vor Petersen auf den Boden
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