Alle muessen sterben
Rubine.
„Springen Sie! Springen Sie ins Wasser! Ich hole Sie schon heraus!“, schrie Georg mit angsterfüllter Stimme und leuchtete mit seiner Lampe in die Flammen. Was er dort sah, ließ ihn erstarren.
Der brennende Mann am Mast rührte sich nicht vom Fleck, sondern bewegte nur den Kopf, während die Flammen mit stummer Beharrlichkeit seinen Körper entlang nach oben kletterten und ihn mit ihren Feuerzungen leckten, bis die Haut Blasen warf, die zerplatzten, und das darunterliegende Fleisch verschmort wurde.
Langsam verformte sich jetzt auch der Brustkorb des Mannes, die blutenden Schnitte wurden vom Feuer verzehrt. Seine Muskeln und sein sehniges Fleisch, das er durch viel Sport gestählt hatte, begannen sich in den immer gieriger lodernden Flammen zusammenzuziehen. Sein kleiner, moderner Bart am Kinn kräuselte sich bereits in der Hitze und die Flammen züngelten schon begehrlich an seinem Hals. Noch aber reckte er das Kinn in die Höhe. Das in den Flammen silbern leuchtende Paketklebeband, mit dem sein Mund verschlossen war, verlieh seinem Gesicht einen heroischen Zug. Seine weit aufgerissenen Augen, ansonsten von einem sanften Blau, waren jetzt durch die vielen in der Hitze zerplatzten Adern blutunterlaufen und sein Blick war irre. Doch ein winziger Funken Hoffnung glomm noch weit hinten am Saum seines Bewusstseins. Es schien, als würde er in seinem brennenden Körper den Glauben an eine Rettung noch nicht aufgegeben haben, doch als in der Hitze seine Lippen wie Fettstücke verkohlten, erlosch sein Blick und er war bereit, das Leben endgültig loszulassen und einzutauchen in die Finsternis, die für ihn nur noch den Tod als Erlösung bringen konnte.
Reflexartig griff Georg Hauser nach seinem Smartphone, aktivierte mit zitternden Fingern die Kamera und zoomte den brennenden Mann näher heran, so nahe, bis er die grässlichen Details sehen konnte und vor Entsetzen auf den Boden seines Bootes kotzte.
2. Schwarze Fliegen und Hornissen
„Fuck!“ Die schwarzen Fliegen in seinem Mund drängten nach draußen, krabbelten, schwirrten und surrten in seiner Mundhöhle, machten sich selbstständig und schleuderten „Fuck!“ in den nächtlichen Regen.
Es war zwei Uhr morgens, als Fliegen und Hornissen erneut von Jonas Blau Besitz ergriffen und er anfing, den Kopf hin und her zu schütteln und mit den Händen auf seinen Brustkorb zu schlagen. Die Hornissenschwärme in seinen Fingerspitzen ließen sich aber auch durch das immer stärkere Trommeln auf seinen Brustkorb nicht mehr besänftigen und forderten wie die schwarzen Fliegen in seinem Mund mehr und immer mehr.
Dann verkrümmte er seine Finger, die juckten und vibrierten, zu dürren Klauen mit schmutzigen, abgebrochenen und blutverkrusteten Nägeln. Diese Klauen fuhren nach oben auf seinen rasierten Schädel und kratzten tief durch die verschorfte Kopfhaut, bis das Blut spritzte.
Erst dann gaben die Hornissen Ruhe und die schwarzen Fliegenschwärme kehrten zurück in die hintersten Winkel seiner Eingeweide.
Es war zwei Uhr morgens, das sah er auf der Digitalanzeige der metallenen Säule auf dem Anleger an der Donau, die ihr rotes Licht auf den nassen Boden warf. Der Regen spülte das Blut von Jonas Blaus Kopf und er machte sich Vorwürfe, weil es ihm nicht gelungen war, sich zu kontrollieren.
Er hatte das Treffen immer wieder im Kopf durchgespielt, aber als es dann tatsächlich so weit war, hatte sein Hirn wie so oft versagt und seine schön gebauten Sätze verschwanden in den Fliegenschwärmen und alles, was er noch hervorgebracht hatte, war „Fuck!“ gewesen.
Immer wieder sah er das plötzlich auflodernde Feuer, hörte die Schreie, das dumpfe Splittern der Knochen unter den Schlägen und die Schuldgefühle brachen nachts wie eine Welle, angefüllt mit Erinnerungen, über ihn herein.
Die Nacht spülte alle seine guten Vorsätze, mit denen er sich tagsüber am Funktionieren hielt, einfach weg. Jonas musste diesem Druck nachgeben, um nicht verrückt zu werden. In der Nacht überfiel ihn die Erinnerung so heftig, dass an Schlaf nicht zu denken war. Überhaupt wurde Schlaf für ihn immer mehr zu einer Bedrohung, bedeutete Hitze und Verbrennen. Deshalb schloss er nur bei Tag stundenweise die Augen, um die Bilder hinter seinen Lidern durch den Alltagslärm der geschäftigen Stadt zu entschärfen. In der Nacht jedoch krochen die Schuldgefühle wieder aus ihren Löchern hervor und trieben ihn vor sich her.
In dieser regnerischen Nacht, in der er wie so oft
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