Alle Orte, die man knicken kann
noch Ansichtskarten und bestickte Kappen verkaufen, nicht mehr ihre Töchter, jedenfalls nicht offiziell. Die rundlichen Mütter quellen scharenweise und insektenhaft ausschattigen Winkeln und wedeln mit fabrikneuen Seidentüchern. Der Quadratkilometer Altstadt ist schnell durchschritten: hier ein bröckelndes Mausoleum, dort ein Turmstumpf, ein Minarett, eine Säulenhalle, ein paar Höfe und gemauerte Gräber. Und überall Souvenirs. Abends toben Folkloregruppen durch sogenannte Privatrestaurants und machen den Schuhplattler nach Art Dschingis Khans.
Kyzylkum und Karakum. Von Taschkent nach Chiwa kann man fliegen. Von Chiwa nach Buchara und Samarkand geht es nur noch per Bus. Während der Schlaglochfahrt scheppert die Klimaanlage so beharrlich, dass das Herunterleiern von Daten und Namen durch den Reiseleiter wohltuend übertönt wird. Die Vorhänge vor den Fenstern lassen sich zum Teil noch zuziehen. Das ist erholsam. Für den Wüstennomaden mag Sand hundert verschiedene Namen haben, und Distel mag nicht gleich Distel sein, jede Ziege ihre Persönlichkeit haben, jedes Maultier seinen eigenen Gesichtsausdruck – für den Reisenden, der acht Stunden lang daran vorbeigeschaukelt wird, sieht alles nervtötend gleich aus. Es hat einen Namen: Seidenstraße. Bei den Pausen mit kurzem Hinkauern hinter Kleingebüsch empfiehlt sich die Mitnahme von Sandproben. Kyzylkum- (rötlich) und Karakum-Sand (schwärzlich) lassen sich für fünf Euro pro Gramm bei ebay versteigern. An Geologen, die schon wissen, warum sie keine Lust haben, selbst herzukommen.
Buchara. Armselig, aber besser als Wüste. Buchara hatte seine große Zeit, als chinesische Seide hier umgeschlagen wurde und der Herrscher der Stadt («Khan») ausländische Gäste als «Spione» eigenhändig hängen, ritzen, schlitzen, quetschen und aufschneiden durfte. Solche Methoden werden heutzutage nur noch privat und für den illegalen Organhandel angewandt. Für Touristen ist Buchara eine risikolose offene Stadt mit dem üblichen Ensemble aus Koranschule, Moschee, Minarett und Pilgerherberge – einEnsemble, das entlang der Karawanenroute überall gleich aussieht, weil die Baumeister keine Lust hatten, sich jedes Mal etwas Neues einfallen zu lassen. Das Beste an solchen Bezirken sind die fototauglichen Perspektiven, die Bänke im Schatten und die türkisfarbenen Kuppeln, die eine Sehnsucht nach etwas ausdrücken, das Mittelasien vermisst: Meer. Buchara hat nur ein Wasserbecken, um das abends farbige Lampions glühen. Im Innenhof daneben wird Abendessen plus Folklore und Modenschau geboten. Außerhalb der Stadt drohen nur ein heilkräftiges Heiligengrab (im Uhrzeigersinn umschreiten) und ein geldspendender Baum (unter dem gefallenen Stamm durchkriechen).
Samarkand. Dieser ruhmreichen Stadt geht es wie Patagonien oder Timbuktu: Der Ort kann unmöglich halten, was der mythische Name verspricht. In Samarkand tobt großstädtischer Verkehr, die historischen Stätten liegen weit auseinander, dazwischen brodeln Abgase. Der Registan mit drei symmetrisch erbauten Pracht-Medresen ist von der Liste des Weltkulturerbes gestrichen worden, weil die Restauratoren ihn zu bunt herausgeputzt haben. Den weniger pingeligen Reisenden stört das nicht. Er flieht vielmehr, wenn bei Dämmerung mit viel Geflacker und Geschepper eine
Licht-und-Ton-Show
beginnt, die in wechselnden Sprachen auf Platz und Wände projiziert wird. Die Stadt bietet außerdem noch ein Mausoleum, das auf Anhieb vertraut wirkt – es ist das unbekannte Original der berühmten Kopie, des Taj Mahal. Und eine marmorne Gräberstraße namens Shah-i-Zinda mit fünfhundert Jahre alten Mausoleen, Bogengängen und überkuppelten Gedenkstätten. In einer davon ist ein Haar des Propheten bestattet. Aus Mangel an weiteren Highlights werden Touristen meist noch ins
Museum der Stadtgeschichte
geführt, eine Folge trübe beleuchteter Räume voller Pfeilspitzen, zwischen denen Museumswärterinnen selbstgebastelte Kettchen und Armbänder verkaufen.
So wird man lästige Mitreisende los
Wer sich vorübergehend redseliger Begleiter entledigen möchte, schafft das am einfachsten bei der Besichtigung von Nekropolen, Moscheen, Mausoleen. Hilfreich sind dabei die überall herumschleichenden Händlerinnen, die sich von hinten anpirschen, sobald vorn der staatliche Reiseleiter zum Vortrag ansetzt. Ein verschwörerischer Fingerzeig auf den lästigen Mitreisenden und ein bestätigendes Kopfnicken sagen den buntgewickelten Frauen: Dieser
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