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Alle Orte, die man knicken kann

Alle Orte, die man knicken kann

Titel: Alle Orte, die man knicken kann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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Mann oder diese Frau will unbedingt die neuesten Angebote für Seidentücher, bestickte Kappen und Brillenetuis kennenlernen! «Seien Sie beharrlich, legen Sie sich ins Zeug!», bringen wir mimisch zum Ausdruck. Unser Mitreisender wird den Rest der Besichtigung im Abwehrkampf zubringen, wie abends gegen die stechenden Insekten. Wir filmen mit. Er wird nicht umhinkommen, mindestens eine Kappe zu erwerben, deren spezifisches Stickmuster ihn als usbekischen Stammesangehörigen ausweist. Wir geben ihm etwas dazu. Das ist eine gute Möglichkeit, die dreckigsten usbekischen Geldscheine loszuwerden. Die einheimische Währung namens
Sum
kennt als höchsten Schein den Wert Zehntausend. Das sind fünf Euro. Höherwertige Scheine gibt es nicht. Weil der meistverbreitete Schein sogar nur fünfhundert Sum wert ist (25   Cent), sind nach dem ersten Geldwechsel alle Taschen voll. Zehn Euro ergeben vierzig Sum-Scheine. Eine andere Möglichkeit, die schweißigen und übelriechenden Lappen loszuwerden, ist ein Gang über irgendeinen Markt mit Probieren der zahlreichen Varianten von Käsebällchen. Nicht wir probieren, sondern unser lästiger Mitreisender, den wir großzügig einladen. Den Rest der Reise übersteht er stumm und bleichgesichtig nur mit Hilfe von Kohletabletten und Imodium.
    Typisch Seidenstraße
    Der große Diktator.  Timur der Große, auch Tamerlan genannt, gilt entlang der Seidenstraße als größter Führer aller Zeiten. Tatsächlich war er der erfolgreichste Völkermörder seiner Epoche. Um das Reich seines Vorfahren Dschingis Khan zu erneuern, ließ er alle störenden Stämme umbringen und nur deren beste Handwerker überleben. Er war Mongole, wurde jedoch sechshundert Jahre später zum Vater der Turkvölker umgetauft. In Form monumentaler Denkmäler beherrscht er die wichtigsten Plätze und Parks Usbekistans. Zum Seidenstraßen-Pflichtprogramm gehört ein Besuch des Timur-Museums in Taschkent, einer monströsen Andachtsstätte. Prunk und Despoten-Kitsch gehen hier eine schweißtreibende Verbindung ein. Timurs Geburtsstadt Shahrisabz zwischen Buchara und Samarkand ist ein Provinznest, aber ebenfalls zur Besichtigung vorgeschrieben. Dort gibt es Reste eines eingestürzten Triumphbogens und ein Heldendenkmal des Führers, vor dem Hochzeitspaare für Fotos posieren. Ein scheintoter Nachfahre des Tyrannen regierte bereits zu Sowjetzeiten als Parteisekretär und anschließend als Präsident das Land. In allen demokratischen Wahlen hat er neunzig Prozent der Stimmen gewonnen. Die restlichen zehn Prozent waren ungültig.
    Russen.  Es gibt sie noch, aber es werden weniger. Vor hundertfünfzig Jahren wurde Usbekistan (damals noch mit anderen Steppenödnissen zu Turkestan zusammengefasst) Kolonie des Zaren, später Sowjetrepublik. Die Nachfahren der Kolonisatoren und eingewanderte Russen leben heute überwiegend in Taschkent und im einzig erholsamen Stadtteil von Samarkand. Das Russenviertel dort glänzt mit Jugendstilarchitektur und Bädercharme, mit gepflasterten Platanenalleen und Springbrunnen, die von den Zaren für ihre Verwalter angelegt wurden. Die Russen bildeneine Art Bürgertum im proletarischen Usbekistan. Doch es zieht sie zurück ins Land ihrer Vorfahren. Von ihrem kolonialen Eifer bleibt noch einiges zu erkennen: Kellnerbrigaden in den Hotels, eine funktionierende Infrastruktur, rollende Eisenbahnen, die Alphabetisierung, ein Schulsystem. Die sowjetischen Herrscher stülpten dem Land auch völlig Kulturfremdes über, zum Beispiel die Gleichberechtigung der Frau und die Heraufsetzung des Heiratsalters von 12 auf 18   Jahre. Mit beidem geht es jetzt wieder abwärts und zurück zur ersehnten Ursprünglichkeit.
    Unverdauliche Landesspezialitäten
    Eigentlich sollte die Küche der Seidenstraße vielfältig sein, bereichert um türkische, persische, indische, mongolische, russische Einflüsse. Neben Kirgisen, Kasachen, Tadschiken blieben mehr als zwanzig verschiedene Völker oder Stämme an der Route hängen und ließen ihre Karawanen weiterziehen. Doch die begabten Köche zogen ebenfalls weiter, samt ihren Rezepten und Gewürzen. Geblieben sind geraspelte oder säuerlich eingelegte Gemüse, dicke Bohnen, Rote Bete, zerhackte Kohlstrünke, Kartoffeln und ausgekochtes Hammelfleisch, alles ungewürzt. Reisende beschränken sich gewöhnlich vom zweiten Tag an auf Fladenbrot und Reis und riskieren als Luxus ein paar gesalzene Aprikosenkerne. Wichtigstes Überlebensmittel ist der weiße Tee. Während schwarzer und

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