Alle Singen Im Chor
Mann ertrunken. Allerdings sieht das Loch im Kopf ganz interessant aus, ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll. Erst mal muss ich präparieren.» Mahkonens Worte waren nicht an mich gerichtet, sondern an Ranes Schuhspitzen.
«Kann es sein, dass er erst k. o. geschlagen und dann ins Wasser geworfen wurde?», wollte Rane wissen.
«Gut möglich. Das Loch sieht irgendwie seltsam aus. Wenn man nur wüsste, womit er niedergeschlagen wurde.»
«Vielleicht mit einem Stein?» Rane ließ den Blick über die Uferfelsen schweifen, zwischen denen Steinbrocken in allen Größen lagen, auch faustgroße.
«Na ja … da habt ihr aber zu tun, wenn ihr alle Steine am Strand umdrehen wollt», schnaufte der Arzt.
Ich gab den Sanitätern einen Wink, die Leiche aus dem Wasser zu holen. Sie drehten sie vorsichtig um. So abstoßend das Gesicht unter den von Salzwasser verklebten blonden Haaren auch aussah, ich erkannte es wieder. Es war aufgedunsen, aber immer noch lag Entsetzen in den offenen Augen, die wie blaue Signallampen aus der violett gescheckten Haut leuchteten. Seetang schmückte den weißen Anorak, die Jeans klebten an den Beinen.
Es tat weh, an den Charmeur, den ich vor ein paar Jahren gekannt hatte, zurückzudenken. Jukka war ein oder zwei Jahre älter als ich, wahrscheinlich noch keine dreißig. Natürlich hatte ich schon jüngere Tote zu Gesicht bekommen, aber die waren von Schnaps oder Drogen zerfressen gewesen. Ich schluckte die Tränen herunter und räusperte mich. Dann herrschte ich die Techniker an: Sie sollten gefälligst herausfinden, woher das Loch in Jukkas Kopf stammte. Vielleicht war er auf dem Steg ausgerutscht. Ich wusste, dass ich einen nervösen Eindruck machte und meine Betroffenheit auch durch den Befehlston nicht überdecken konnte, aber ich wollte auf gar keinen Fall in aller Öffentlichkeit weinen.
«Dann wollen wir mal sehen, was die da oben in der Villa wissen», sagte ich zu Rane und wandte mich dem Haus zu. Erst jetzt bemerkte ich die Leute auf der zum Meer gelegenen Veranda. Sie mussten mein Gebrüll gehört haben, aber alle sahen weg, als wollten sie es nicht wahrhaben, dass die Polizei da war.
Aus der Nähe sah die Villa wie eine Fälschung aus: Vielleicht war es die Kopie einer alten Holzvilla, die früher hier gestanden hatte. Der Anstrich war verblichen und sicher an die zwanzig Jahre alt, aber das Haus konnte nicht sehr viel älter sein als ich.
Die Sonne schien auf die Veranda, und ich verfluchte meine viel zu warmen Jeans. Einige aus dem Septett, das dort saß, kamen mir bekannt vor.
«Maria!» In der klaren, hellen Stimme lag Verblüffung. «Bist du etwa Polizistin geworden? Kennst du mich noch? Ich bin Tuulia.»
Ich erinnerte mich gut an Tuulia. Sie war oft in unserer Studentenwohnung gewesen, und manchmal hatten wir uns auch in der Cafeteria der Uni getroffen. Sie war mir sympathisch gewesen, wir hatten beide den gleichen Sinn für Humor. Sie war schöner, als ich sie in Erinnerung hatte, ihre aufrechte Gestalt wirkte erwachsen und stolz.
«Ja, ich erinnere mich.» Ich brachte es nicht fertig zu lächeln. «Also … Ich bin Kriminalhauptmeister Maria Kallio vom Gewaltdezernat, guten Tag. Das hier ist Kriminalmeister Lahtinen. Vielleicht stellen Sie sich erst einmal vor und berichten dann, was letzte Nacht passiert ist.» Ich wusste selbst, wie lächerlich das klang, und wagte niemanden direkt anzusehen.
Mirja sprach in gleichmäßigem Tonfall, als läse sie von einem Manuskript ab. Vielleicht hatte sie sich vorher überlegt, was sie sagen wollte.
«Ich bin Mirja Rasinkangas. Ja, und wir gehören zum Chor der ostfinnischen Landsmannschaften. Jukka Peltonens Firma will ein Sommerfest mit Musik veranstalten. Sie haben ein ordentliches Honorar versprochen, und so hat Jukka ein Doppelquartett aufgestellt, das auf dem Fest singen soll.»
Mirja zufolge handelte es sich bei den Anwesenden um Jukkas eigenes Quartett sowie um vier weitere Sänger, die zufällig den Sommer in der Stadt verbrachten. Da Jukkas Eltern gerade auf einem Segeltörn waren, konnten die Proben in ihrer Sommervilla stattfinden.
Das Doppelquartett war am Nachmittag angekommen, hatte ein paar Stunden geprobt und anschließend den Sommerabend so verbracht, wie man es in Finnland eben tut: mit Sauna und Saufen. Bald nach Mitternacht war einer nach dem anderen schlafen gegangen, aber was Jukka getan hatte, schien niemand zu wissen. Gegen zwei war er zuletzt lebend gesehen worden.
«Ich habe mich heute früh
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