Alle Singen Im Chor
gewundert, dass Jukka sich nicht blicken ließ», erklärte Mirja. «Aber dann kam Jyri und rief, Jukka sei ertrunken, und da lag er dann auch … am Ufer.» Ihre Stimme zitterte leicht.
«Als Sie hingegangen sind, haben Sie die Leiche da irgendwie bewegt?»
«Ich habe versucht, seinen Puls zu fühlen. Bewegt haben wir ihn nicht», warf eine Bassstimme aus dem Hintergrund trocken ein. «Ach ja, ich bin Antti Sarkela, wie du dich vielleicht erinnerst. Es war kein Puls festzustellen, und überhaupt, er war ertrunken, man sah gleich, dass es keinen Zweck mehr hatte, irgendwas zu tun.»
Klar, an Antti erinnerte ich mich auch noch. Zwei Wochen lang war ich beinahe in ihn verliebt gewesen, nachdem er einmal in der Straßenbahn neben mir gesessen und sich mit mir über das Buch von Henry Parland unterhalten hatte, das ich während der Fahrt lesen wollte. Wie viele Männer hätten überhaupt gewusst, wer Henry Parland war? Dann hatte ich beschlossen, Antti zu vergessen und Henry anzuhimmeln, aber seit jenem Gespräch bekam ich Antti nicht aus dem Kopf. Sein Aussehen gefiel mir, sein schmales Indianergesicht, seine große Hakennase, sein fast zwei Meter langer Körper. Es war schwer, seinen Gesichtsausdruck zu deuten, in seinen Augen lag sowohl Trauer als auch Furcht. Ich entsann mich, dass Jukka ein guter Freund von Antti gewesen war.
«Okay. Ich leite die Ermittlungen, das heißt, die Vernehmungen finden in Pasila statt. Aus ermittlungstechnischen Gründen schlage ich vor, dass ihr die Villa jetzt gleich verlasst. Ich möchte heute Abend noch mit den Befragungen anfangen. Wer keine Fahrgelegenheit hat, kann bei mir mitfahren, hier ist wohl nicht mal eine Bushaltestelle in der Nähe. Für den Anfang wüsste ich aber gern, wer ihr seid, Beruf, Adresse und so weiter. Rane, notierst du das mal? Wer bist du?», fragte ich den jungen Mann, der mir am nächsten saß. Er war ziemlich klein gewachsen, offenbar noch sehr jung und sah aus, als sei ihm schlecht.
«Ich bin Jyri Lasinen», gab die hohe, klare Tenorstimme Auskunft. «Ich bin dreiundzwanzig und studiere Mathematik und Informatik.» Es klang wie bei einem Vorstellungsgespräch.
«Ich bin Mirja Rasinkangas», wiederholte das stämmige dunkelhaarige Mädchen. «Sechsundzwanzig, Geschichtsstudentin.»
«Piia Wahlroos», wisperte die Nächste. Sie hatte große braune Augen, kastanienbraunes Haar, einen Trauring mit prächtigen Steinen, war schlank, trug ein elegantes Strandkleid … Ich registrierte die Einzelheiten bunt durcheinander, zusammenhanglos. «Ich bin sechsundzwanzig und studiere Skandinavistik.»
«Sirkku Halonen, dreiundzwanzig. Ich studiere Chemie. Ich bin Piias Schwester, aber sie ist verheiratet, deswegen heißt sie anders.» Sirkku war eine gedämpfte, alltäglichere Ausgabe ihrer zierlichen schönen Schwester. Neben ihr saß ein leicht untersetzter junger Mann mit störrischen Haaren, der ihr tröstend die Hand hielt. Offenbar ihr Freund.
«Ich bin Timo Huttunen, Forstwissenschaftler. Fünfundzwanzig.»
«Tuulia Rajala, neunundzwanzig. Nichtstuerin.»
«Antti Sarkela. Mathematiker, Assistent an der Uni. Neunundzwanzig. Obwohl mir nicht klar ist, was unser Alter für eine Rolle spielt.» Rane ächzte, er hatte das «obwohl» automatisch mitgeschrieben und funkelte Sarkela böse an, als wäre es dessen Schuld.
«Okay … Packt eure Sachen zusammen, wir wollen möglichst bald los.» Ich ging ans Ufer, um noch einmal mit den Leuten von der Technik zu reden. Auf dem Uferpfad kamen mir die Bahrenträger entgegen. Jukkas nächste Adresse war die Pathologie.
Als ich ins Haus zurückkam, leerte Mirja gerade den Kühlschrank.
«Übrigens … wer hat wo geschlafen?»
«Jukkas Zimmer ist in der oberen Etage. Jyri und Antti haben auf der anderen Seite des Gangs geschlafen, im Zimmer von Jukkas Bruder. Timo und Sirkku waren im Zimmer von Jukkas Eltern am Ende des Gangs, und Piia, Tuulia und ich haben hier unten im Wohnzimmer übernachtet, auf dem Fußboden.»
«Jukka war also der Einzige, der allein geschlafen hat?»
«So war’s wohl. Allerdings wurde nicht viel geschlafen, die ganze Zeit schien irgendwer unterwegs zu sein. Alle naselang rannte jemand aufs Klo, Jyri sogar hier unten, obwohl oben auch eine Toilette ist. Ich hab jedenfalls die ersten Stunden furchtbar unruhig geschlafen. Tuulia hat fürchterlich geschnarcht, obwohl ich immer wieder versucht hab, sie wachzurütteln.»
«Tut mir Leid, dass ich deinen Schlaf gestört hab.» Tuulia tauchte
Weitere Kostenlose Bücher