Rasant und Unwiderstehlich
1
Vor Klatsch verschließt eine Waverly-Eule stets die Ohren
An der Waverly-Akademie war der frische Duft nach Herbst dem unbestreitbaren Geruch nach Rauch gewichen – und zwar keinem der angenehmen Sorte Laubhaufenfeuer. Es war vielmehr ein beißender, in der Nase kratzender Gestank nach verbranntem Heu und Stroh, der Jenny Humphrey daran erinnerte, dass irgendjemand bei der Cineclub-Party gestern Nacht die Scheune der Miller-Farm abgefackelt hatte. Vielleicht war es ja ein Unfall gewesen. Vielleicht aber auch nicht.
Jenny stieß die schwere Holztür zum Speisesaal auf und ging durch den höhlenartigen Raum auf die Essensschlange zu. Es war ein langer Gang vor den Augen aller, die sich um die Essenstische drängten, und Jenny versuchte, sich auf das Licht der Morgensonne zu konzentrieren, das durch die bunten Glasfenster strömte, statt auf das Geflüster, das von der kathedralenartigen Decke zurückgeworfen wurde. Waverly-Eulen waren berüchtigte Klatschmäuler, aber heute war das Geraune noch lebhafter als sonst.
Sie nahm sich von den Apfel-Zimt-Pfannkuchen, die es nur samstags zum Frühstück gab, und schlängelte sich durch die Reihen langer Eichentische zu dem Platz in der Ecke, wo sie das glänzend schwarze Haar von Alison Quentin entdeckt hatte. Ein zierliches blondes Mädchen saß eingekeilt zwischen Alison und Sage Francis. Jenny versicherte sich, dass weder ihre Mitbewohnerin Callie noch ihr Ex Easy am selben Tisch saßen. Nachdem sie gestern Nacht Callie und Easy zusammen in der Scheune erwischt hatte, wollte sie die zwei nie mehr sehen, keinen von beiden. Wenn sie nicht gleich darauf den unerwarteten, unglaublich süßen Kuss von Julian McCafferty bekommen hätte, wer weiß, womöglich hätte sie alles sausen lassen – das Frühstück, Waverly, alles. Schon beim Gedanken daran spürte sie Schmetterlinge im Bauch.
»Frischfleisch«, sagte eine Stimme hinter Jenny. Sie drehte sich um und sah Celine Colista, die zweite Spielführerin des Feldhockeyteams, die auf das zierliche blonde Mädchen deutete, das zwischen Alison und Sage saß. Dann verdünnte sie frisch gepressten O-Saft mit Wasser und stellte das Glas auf ihr Tablett. »Sind die ganze Woche hier.«
»Frischfleisch?«
»Angehende beziehungsweise potenzielle zukünftige Mitschülerinnen und Mitschüler«, erklärte Celine ungeduldig, während sie sich gemeinsam dem Tisch näherten. »So heißt es politisch korrekt – von wegen nicht diskriminierend, nicht sexistisch, und du weißt schon -, aber das verbraucht echt zu viel Puste.« Jenny und Celine stellten ihre Tabletts neben das von Alison.
Jenny beugte sich vor und lächelte der blonden potenziellen zukünftigen Mitschülerin zu. Aus der Nähe wirkte sie sogar noch winziger. »Hi. Ich heiße Jenny.«
»Ich bin Chloe.« Das Mädchen schob seine schwarze, rechteckige Ralph-Lauren-Brille hoch und nickte Jenny zu.
»Sie ist Alisons Schatten«, verkündete Benny Cunningham lauthals und legte die Ellbogen auf die dunkle Holztischplatte. Dann strich sie sich die langen, schnittlauchgeraden braunen Haare aus ihrem etwas pferdeartigen, aber hübschen Gesicht. »Wo bist du noch mal her, Frischfleisch?«
»Putney«, antwortete Chloe ängstlich. Sie zupfte ein unsichtbares Stäubchen von ihrem blassblauen J.Crew-Pullover mit Zopfmuster. »Das ist in Vermont.«
Mit ihrem hellen Teint und den großen, unschuldigen blauen Augen sah Chloe ein bisschen wie Dakota Fanning aus. Jenny konnte sich nicht vorstellen, zu Dakota Fanning gemein zu sein. »Vermont ist echt schön«, sagte sie und hoffte, dass sich das jüngere Mädchen damit etwas wohler fühlte. Jenny wusste, wie es war, neu in Waverly zu sein: Man kam sich so linkisch und unbehaglich vor. Bei dem Gedanken daran, wie ahnungslos die Alte Jenny bei ihrer Ankunft hier vor wenigen Wochen gewesen war, zuckte sie innerlich zusammen. Aber die Neue Jenny saß am coolsten Tisch im Speisesaal, ging auf verrückte Partys mit brennenden Scheunen und küsste anbetungswürdige Jungs im Mondlicht. Na bitte, Alte Jenny.
Plötzlich hallte ein Jubelschrei von der hohen Decke des Speisesaals wider, und als Jenny sich umdrehte, fiel ihr Blick auf Heath Ferro, der an einem Tisch in der Nähe stand und die Arme triumphierend in die Luft gereckt hatte. Sonnenlicht schimmerte auf seinem kunstvoll zerzausten schmutzig blonden Haarschopf und aus seinem Mund sprühten Crackerkrümel. Offensichtlich hatte er gerade den Tuc-Test bestanden, ein Meisterstück, an dem sich
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