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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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lebens und zersetzt die gesellschaft wenn ich nur ein zufallsprodukt aus der ursuppe bin was hat dann das ganze überhaupt für einen - - -
    Ja, lassen Sie den Fernsehen laufen. Zu ihm sprechen. Das ist gut. Wir haben auch ausländische Sender. Sie ahnen nicht, was das für uns bedeutet. Das wissenschaftliche Interesse an diesem Fall ist für Laien vielleicht gar nicht richtig erfassbar. Ohne Zweifel ist das einer der interessantesten neurolinguistischen Fälle.
    Das ist gut!
    Mit den Kenntnissen, die man bereits über sein Gehirn gesammelt hat. Das ist einmalig. Verzeihen Sie meine Begeisterung. Für Sie ist das natürlich in erster Linie tragisch.
    Das ist gut!
    Doch wir sind voller Hoffnung. Sehen Sie, das könnte ein ganzes Programm wert sein. Das Abel-Nema-Programm, kurz: ANP.
    Guuuuuuuut!
    Abhängig von Geldern, natürlich, aber in so einem Fall …
    Guuuuuuuuuu!
    Das ist eine gute Spritze, sie wirkt sofort. Manchmal weiß man nicht, was in gehirngeschädigten Patienten vor sich geht, aus heiterem Himmel bekommen sie Wutanfälle,
    Gut!
    werfen sich wie in Panik herum, harmloseste Umstände können plötzlich bedrohlich auf sie wirken, davon dürfen Sie sich nicht erschrecken lassen. Suizidgedanken sind leider auch keine Seltenheit, ich gebe Ihnen mein Versprechen, dass wir ihn von Treppen und Fenstern fern halten werden. Sie werden vielleicht bemerkt haben, dass ohnehin überall die Klinken fehlen, das ist Sicherheitsstandard. Wir haben einen langen und mühsamen Weg des Lernens vor uns, aber gleichzeitig ist das auch einer der schönsten Wege,
    Gggg!
    ein Weg der Hoffnung,
    Gg!
    jeder Tag, jeder noch so kleine Schritt ist ein Sieg.
    Gggggrrrr ...
    Ja, leg deine Hand auf seine Stirn, mein Kleiner.

    Omar nimmt seine Hand von der kalten, verschwitzten Stirn seines immer noch Stiefvaters und nimmt das warme, klebrige Händchen seiner Schwester. Er passt sich ihren Schritten an. Gemeinsam taumeln sie durch das feuchte Gras des Parks. Er spricht zu ihr wie zu einer Erwachsenen. Sie sagt noch nichts, nickt nur, schüttelt den Kopf oder stellt ihn schräg und hebt eine Augenbraue, je nachdem, was richtig ist. Was sie auch immer tut: sie lächelt. Sie hat die spiegelnden Augen und die langen Glieder ihres Vaters geerbt und die freundlichen Wangen und den vertrauensseligen Mund der Mutter. Ihr Bruder ist größer und schlanker geworden, die Schönheit, die aus seinem perfekten Gesicht und seinem gesamten Körper, auch aus den unsichtbaren, von Kleidung verdeckten Teilen strahlt, ist so überwältigend, dass geschlossene Räume, Metrowagen, kleine Geschäfte vollständig verstummen können, wenn er in ihnen anwesend ist, aber auch unter freiem Himmel verdrehen Frauen und empfängliche Männer schmerzhaft die Augen, um ihn verstohlen zu mustern. Er scheint davon nichts zu bemerken, denn sein linkes Gesichtsfeld ist nicht vorhanden und rechts von ihm trippelt das kleine Mädchen, dem er seine gesamte Aufmerksamkeit schenkt. Außer, wenn er einen Blick zurück wirft, zu einer gewissen Bank, ob er noch dasitzt, mit etwas schief gehaltenem Kopf, sanft lächelnd, wie früher manchmal auch, Abel Nema, und ihnen zuschaut. Die Amnesie hat sich bestätigt, er erinnert sich an nichts mehr, wenn man ihm sagt, was man über ihn weiß, sein Name sei Abel Nema, er sei aus dem und dem Land gekommen und habe einst ein Dutzend Sprachen gesprochen, übersetzt, gedolmetscht, schüttelt er höflich-verzeihend-ungläubig lächelnd den Kopf. Er versteht alles, was man ihm sagt, er kann sich normal, wenn auch etwas langsamer als die meisten, bewegen und auch etwas sprechen. Entgegen den Erwartungen hat sich nur eine einzige Sprache, die Landessprache, soweit regeneriert, dass er einfache Sätze sprechen kann. Er kann sagen, ob er etwas zu essen haben will vom nahen Kiosk, und kann auch die Kinder fragen, ob sie etwas möchten. Er kann auch anderes sagen, aber es ist ihm anzusehen, dass das sehr anstrengend ist. Am liebsten sagt er immer noch: Das ist gut. Die Erleichterung, ja, das Glück, diesen Satz aussprechen zu können, ist ihm so deutlich anzusehen, dass ihm die, die ihn lieben, jede Gelegenheit dazu bieten. Er spricht es dankbar aus: Das ist gut. Ein letztes Wort. Es ist gut.

1. Auflage
    Taschenbuch-Sonderausgabe Mai 2010,
btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Copyright © 2004 by Luchterhand Literaturverlag,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Umschlaggestaltung: semper smile, München
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