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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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wie ist das so?«
    Der Kommissar schaute mich nachdenklich an. Ob er Kontaktlinsen trug? Oder produzierte er dieses Südseeblau auf dem Grund seiner Seele?
    »Ich meine, wie stecken Sie das weg?«, sagte ich und hatte absolut keine Idee, wie ich selbst das wegstecken sollte. Die Maden, die Fliegen. Die zweieinhalb Finger. Den Gestank. Die flaschengrüne Haut. Die braunen Beulen. Den matschigen Lumpenhaufen. Das angefressene Gesicht. Die Krater in den Augenhöhlen. Die Krähen. Die Käfer. Die Ameisen.
    Wieder neigte der Kommissar den Kopf. Mir fiel auf, dass um ihn herum absolute Stille herrschte. Mit ihm bildete ich das Auge eines Hurrikans. Um uns herum wuselten die Ermittler, die Leiche wurde in den Sarg gelegt, dies war kein Ort des Friedens, doch im Bannkreis des Kommissars war alles gut und sicher.
    »Ich kann Sie zu den Kollegen vom Kit …«
    »Nein, nein«, unterbrach ich ihn. »Ich komm schon klar. Es interessiert mich einfach, wie man als Profi mit so was umgeht.«

    »Man gewöhnt sich dran«, erwiderte der Kommissar zögernd.
    »Und wie geht das, sich daran zu gewöhnen?«
    »Indem man sich zum Beispiel darauf konzentriert herauszufinden, warum etwas passiert ist. Bei einem Mord kann man sich einreden, man könnte dem Opfer helfen, indem man den Täter findet. Jedenfalls kann man versuchen, einen Hauch von Gerechtigkeit herzustellen.«
    »Und ist das hier jetzt ein Mordfall?«
    »Wenn es keinen Verdacht gäbe, würden wir zwei uns nicht unterhalten. Meine Kollegen vom K1 und ich rücken nur bei einem Kreuz in der dritten Spalte aus.«
    »Dritte Spalte?«
    »Wenn die Todesursache nicht geklärt ist. Morgen nach der Obduktion wissen wir mehr.«
    »Kann es auch ein Unfall gewesen sein?«
    »Im Moment kann es alles gewesen sein. Ein Schwächeanfall, ein Herzinfarkt …«
    »Aber so alt war er noch gar nicht!«
    »Sie haben ihn sich doch genauer angeschaut?«
    Ich zuckte zusammen. Genauso war es im Fernsehen. Kaum sagte man etwas ohne nachzudenken, klappte die Falle zu.
    »Wegen des T-Shirts.«
    »Ja, das stimmt. Ältere Menschen würden so was wohl nicht tragen, doch das ist eine Vermutung.«
    Ich räusperte mich. »Ich finde es … Also dass man in so einem T-Shirt stirbt, das ist irgendwie so … so … unpassend.«
    »Der Tod, mit dem ich mich beschäftige, passt nie«, sagte der Kommissar ernst, »meistens verabredet man sich nicht
mit ihm, man kann sich also auch nicht vorbereiten und angemessen kleiden.«
    Die Liebe passt auch nie , dachte ich idiotischerweise, auf die Liebe kann man sich ebenfalls nicht vorbereiten, sie trifft einen wie der Blitz, also andere, mich natürlich nicht, ich war ja immun dagegen und unangemessen gekleidet, wo war eigentlich Flipper?
    »Flipper!«, rief ich.
    Der Kommissar ließ noch mal den halben Mond aufgehen, denn Flipper stand hinter mir.
    »Ich wollte noch wissen«, sagte der Kommissar, »ob Sie öfter am Starnberger See unterwegs sind.«
    »Kommt drauf an, welchen Baum Flipper morgens markiert«, blieb ich bei der Wahrheit, denn Polizisten lügt man besser nicht an.

2
    Zwei Stunden später, im Fitnessstudio Sportive , umkreisten mich die Fliegen noch immer. Sie hatten sich mit ihren Saugrüsseln an mein Leben geploppt, und ich hatte sie mit nach München genommen. Ihr Summen und Brummen übertönte sogar die Musik, sodass ich lauter drehte und lauter, bis eine Schülerin, deren Namen ich vergessen hatte, obwohl ich mir die Namen aller meiner Kursteilnehmer merken möchte, bat: »Kannst du bitte leiser stellen?«
    »Klar«, sagte ich lässig in mein Headset und drückte auf die Fernbedienung. Die Fliegen klatschten an die Spiegel, eklige, vollgefressene Monster. Meine Teilnehmerinnen hörten sie nicht und sahen nicht die Sprenkel, verdautes Leben. Sie warfen die Beine und Arme in die Luft, bunt gekleidete Marionetten. In ihren Augenhöhlen ringelten sich speckige Maden, von deren anmutig schlängelnder Beweglichkeit sich manche eine Scheibe hätte abschneiden können. Ich produzierte mich als Chefmarionette, ich machte vor, sie machten nach. So viel Mühe ich mir auch gab, mir fehlte Leichtigkeit, und das fehlte auch der Gruppe, die zwar marschierte und ihre Stepper enterte und die Gummibänder langzog … doch ich schaffte es nicht, sie wirklich zu motivieren, und das ärgerte mich, denn darin bin ich besonders gut, deshalb sind meine Kurse voll, egal, was ich anbiete, mein
Unterricht ist immer ausgebucht, und ich habe drei Privatkunden, das will was heißen in

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