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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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meinem Job. Flipper, der natürlich überzeugt davon ist, dieser Erfolg sei nicht meinem Einsatz, sondern seinem zuzuschreiben, konnte meine heutige Vorstellung nicht mit ansehen. Während er sonst manchmal taktil unterstützt, auch mal durch die Gruppe läuft und hier und dort wedelt, wo die Begeisterung fehlt, oder seine kalte Schnauze in eine heiße Kniekehle stößt, um ein Tempo zu erhöhen, rollte er sich heute einfach ein, mit dem Rücken zu mir, so als wollte er mein Versagen nicht mit ansehen müssen.
    Natürlich haben Hunde in Fitnesscentern Hausverbot. Das finde ich korrekt, und ich habe nie widersprochen. Flipper hat sich seine Ausnahmegenehmigungen selbst beschafft. In diesem Studio beim Ostbahnhof überzeugte er die Besitzerin, indem er ihr, ganz Kavalier, einige Äpfel apportierte, die aus einer gerissenen Papiertüte auf das Trottoir kullerten, und er schreckte auch nicht davor zurück, unter Einsatz seines Lebens todesmutig einen extrasauren giftgrünen Granny Smith von der stark befahrenen Orleansstraße zu retten. Seitdem gehört Larissa zu Flippers Fanclub, und obwohl sie sich selbst nichts Süßes gönnt, hält sie für Flipper stets ein Leckerli parat, das sie mir aushändigt, damit ich es ihm überreiche. Wenn Larissa einen Hund hätte, wäre der dick wie ein Mastschwein. Mir sind schon oft sehr dünne Frauen mit sehr dicken Hunden begegnet. Die Hunde kriegen all das, was die Frauen sich vom Munde absparen. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich hatte auch mal eine Essstörung, kurz nach John Sinclair, in der Pubertät, von vierzehn bis fünfzehn. Danach bin ich sportsüchtig geworden,
und das bin ich bis heute geblieben, wenn auch kontrolliert. Ich finde das gut so, gesünder als Drogen ist es allemal, und habe nicht vor, irgendetwas daran zu ändern. Ich bin glücklich damit, wie ich mein Leben eingerichtet habe. Eine Wohnung an der Isar, ein gutes Auskommen mit einer Tätigkeit, die mir Spaß macht, und viel Freizeit, um mit Flipper durch die Gegend zu streunen – ohne einen Mann, der mir das Leben vergällt. Männer sind das Gesprächsthema Nummer eins in Umkleidekabinen, egal ob bei der Osteoporosegruppe oder bei der Selbstverteidigung. Ich sage meistens nichts dazu, die anderen glauben wahrscheinlich, ich würde mich bedeckt halten, weil ich die Trainerin bin, mir ist das recht; ich spreche überhaupt wenig über mein Privatleben. Dafür höre ich gut zu, und was ich höre, bestärkt mich. Verlieben ist total gefährlich. Gefährlicher sogar als rauchen. All die Sprüche auf Zigarettenschachteln könnte man auf die Betten von frisch Verliebten gravieren: Verlieben fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu. Verlieben macht sehr schnell abhängig: Fangen Sie gar nicht erst an! Verlieben kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen.
    Das habe ich am eigenen Leib erfahren.
    Abgehakt ist jetzt fünf Jahre amputiert, vollständig abgehackt inklusive Phantom habe ich ihn vor drei Jahren, als Flipper mich zwang, ihn zu adoptieren, sonst würde ich lebenslänglich unter einem schlechten Gewissen leiden und nie mehr froh und glücklich werden, was ich mir damals ohnehin nicht vorstellen konnte, da ich litt, als wäre mir was abgehackt worden. Ich gedachte nicht, mich noch mal in eine solche Gefahr zu bringen. Flipper hasst Veränderungen.
Ich auch. Und nun wollte ich meine Dienstagsgruppe zurückhaben, nicht diese aufgetriebenen Leiber, die bei der Entspannungsübung alle dasselbe T-Shirt trugen: Kein Haus, kein Auto, kein Boot – aber geil!
    Ich wollte strahlende Augen in erhitzten Gesichtern sehen, keine Krater, an deren Rand sich Maden räkelten. Vielleicht sollte ich mich wirklich mit geweihten Silberkugeln wappnen. Allerdings bräuchte ich dann auch eine Beretta wie der Geisterjäger John Sinclair.
    Die Leichen erhoben sich, es wurde geklatscht, das kann ich überhaupt nicht ausstehen, es klatscht doch auch niemand, wenn man an der Käsetheke erfolgreich hundert Gramm Gorgonzola ausgehändigt bekommt, aber wahrscheinlich beklatschten sie sich selbst, weil sie ihren inneren Schweinehund besiegt hatten.
     
    Mit dem Fahrrad fuhr ich nach Hause, Flipper mit seinem in Regenbogenfarben blinkenden Halsband rechts neben mir, flott wie ein Windhund, auch auf der Radfahrerabschussrampe Rosenheimer Straße, und ich dachte, dass der Tote einen solchen prallen Frühlingstag nie mehr erleben, keinen Sommer mehr erleben würde, nicht mehr die vom Asphalt aufsteigende Wärme

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