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Alle Zeit - Roman

Alle Zeit - Roman

Titel: Alle Zeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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schlecht. Man kann gar nicht genug Großmütter haben.
    Elisa winkt der Kellnerin. Wir fahren jetzt zu mir. Ich koche heute Abend. Juli wird auch kommen.
    Sag ihr nichts heute Abend, bittet Henriette. Erst wenn wir zurück sind.
    Elisa nickt und lächelt und nickt und lächelt. Gut, wenn wir zurück sind, rede ich mit Juli über Klara.

 
    Alles hat wieder seine Richtigkeit. Sie heißt Klara, und das hier ist ihr Zimmer. In einem Pflegeheim. Die Kiste ist ein Fernseher,
     und gestern oder vor ein paar Tagen hat sie im Park eine dicke Frau kennengelernt. Sie. Nicht die Kiste. Konnte früher gut
     mit Worten umgehen und hat jeden falschen Zungenschlag gespürt. Mit grünen Haaren. Die Frau im Park. Was es alles gibt. Früher
     wurden die Haare nur grün, wenn irgendwas beim Bleichen schiefgelaufen war.
    Außerdem drückt das Gebiss. Deshalb liegt es im Glas. Allerdings ist das Wasser sehr trübe. Sie wird es auskippen und neues
     Wasser für die Zähne holen. Oder die Zähne gleich in den Mund stecken. Da gehören sie ja wohl hin. Und zum Frühstück kann
     sie sowieso nicht ohne gehen. Auch wenn die Häppchen noch so klein geschnitten sind. Man sieht verdammt schrecklich aus ohne
     Zähne, und immerhin sitzen da noch ein paar Kerle mit am Tisch. Ohne Verstand zwar die meisten, aber Mann ist Mann. Denen
     zeigt man sich nicht mit eingefallenem Mund und hohlen Wangen.
    Klara schiebt die Zähne in den Mund und steht auf. Frische Wäsche zieht sie an und das lange, etwas unförmige Wollkleid. Darüber
     eine Strickweste. Sie kämmt sich die Haare und steckt sie an den Seiten mit zwei kleinen Klemmen fest. Das sieht schon viel
     besser aus. Ihre Zimmernummer ist 18. Kann sie sich alles merken. Ob das wirklich grüne Haare waren? Verrückt. Und irgendetwasan dem Mädchen hat eine Erinnerung in ihr ausgelöst. Aber das geht jetzt wirklich zu weit. Das auch noch zu wissen. Reicht
     schon, wenn sie den Weg zum Frühstücksraum findet. Raum der Begegnung nennen die das hier. Diese Zicke mit den vielen Fragezeichen
     im Gepäck. Hoffentlich begegnet sie der nicht. Die wird wieder wissen wollen, was der Herrgott am siebten Tag gemacht hat.
    Wenn Klara bei Verstand ist, hat sie eine große Wut im Bauch. Dafür fehlen ihr fast die Worte. Nur manchmal, wenn sie der
     Zicke begegnet, sprudeln sie aus ihr raus. Dann gibt es kein Halten, und die Zicke hat sich schon ein paar Mal beschwert deshalb.
     Dann sagt die andere, die Nette mit dem roten Zopf: Aber Frau Simon kann gar nicht böse sein. Nur manchmal, wenn sie etwas
     verwirrt ist. Das darf man ihr dann nicht übelnehmen. Und die Zicke sagt, sie sei auch nur ein Mensch und sie glaube nicht,
     dass die Frau Simon verwirrt ist. Die tut nur so, sagt die Zicke dann.
    Na, soll sie erst mal in das Alter kommen. Dann wird sie wissen, wie das ist, wenn man sich morgens nicht im Spiegel erkennt.
     Besser wäre, der Verstand würde mit einem Mal ausgeschaltet. Klick, wie ein Lichtschalter. Diese ganzen Rückholanträge. Na,
     wo hat sie denn das Wort wieder her – Rückholanträge. Gehört überhaupt nicht zu ihrem Wortvorrat. Aber gut. Auf jeden Fall
     sind die grauenvoll. Wenn man da plötzlich einen Lichtblick hat und an was denken muss, was eigentlich schon verloren war.
     Schlimm ist das. Als würden sie einen an der Gänseleberpastete riechen lassen. Nur riechen und dann wegnehmen und einer anderen
     auf den Teller packen. So ist das, wenn man sich während des Vergessens wieder erinnert.
    Klara geht durch den Flur, die Treppe runter, den Gang entlang in den Speisesaal. Der ist voll und totenstill. Wenn man mal
     von den Geräuschen absieht, die alteMenschen beim Essen machen. Schmatzen, schlürfen, mit dem Besteck klappern, laut atmen.
    Hinten in der Ecke die Alte. Summt immer vor sich hin. Selbst beim Kauen. Bei der hat sie zwei Mal gesessen. Das reicht für
     immer. Die summt ständig die gleiche Melodie. Kommt ein Vogel geflogen, setzt sich nieder auf mein’ Fuß. Da verliert man den
     letzten Rest Verstand. Also setzt sie sich lieber an den großen Tisch. Da, wo auch der Alzheimer von heute Nacht sitzt. Scheint
     jetzt aber ganz fit zu sein. Lächelt ihr zu und erhebt sich kurz vom Stuhl, während sie sich setzt. Richtig feine Manieren
     hat der. Und offensichtlich einen guten Moment. Liegt vielleicht am Essen. Oder an den Weibern hier.
    Klara lächelt dem Alzheimer zu und sagt was über die Morgensonne und die Nachrichten im Radio. Bei dem Wort Radio kriegt der
     Alzheimer

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