Aller Heiligen Fluch
sie.»
Caroline legt das Telefon auf den Schreibtisch, nachdem sie gerade einem gesichtslosen russischen Oligarchen versichert hat, dass seine Pferde auch weiterhin gut versorgt würden. Aber wer soll sie trainieren? Len ist entsprechend zertifiziert, steht aber wenige Jahre vor der Pensionierung. Und sie selbst ist ein hoffnungsloser Fall, das ist ihr klar. Sie reitet zwar, aber ausschließlich die besonders friedfertigen Pferde. Schon als Kind war sie ein kleiner Angsthase und ist auf ihrem Pony dahingetrottet, während die anderen Kinder längst dem Horizont entgegengaloppierten. Sie war immer heilfroh, dass ihre Mutter ihr und ihren Geschwistern verbot, mit auf die Jagd zu reiten, und beklebte ihren Reithelm stolz mit Protestaufklebern gegen die Fuchsjagd. «Das ist mir zu grausam», verkündete sie überall, doch in Wahrheit jagte ihr allein die Vorstellung, in rasendem Tempo querfeldein zu galoppieren, eine Heidenangst ein. Sie hat nur Reiten gelernt, um ihren Vater glücklich zu machen, so wie sie auch nur bei Greenpeace und Friends of the Earth Mitglied ist, damit ihre Mutter glücklich ist.
Als Kind stand Caroline ihrem Vater sehr nahe. «Eine richtige Vatertochter», sagte ihre Mutter immer, in einem Ton, der ebenso liebevoll wie abfällig klang. Caroline hatte ständig das Gefühl, ihrer Mutter zu missfallen: Sie war zu langsam, zu ungeschickt, nicht intelligent genug. Romilly liebte Spiele, bei denen man sich Wortspiele, Reime und manchmal sogar Lieder ausdenken musste, und Caroline erinnert sich gut, wie Randolph und Tamsin am Küchentisch saßen und die unerhörtesten Reime, die blödesten Bilder, die lustigsten kleinen Limericks erfanden. Ihr selbst fiel nie schnell genug etwas ein, und sie machte sich auch nicht gern über andere lustig. «Nimm doch nicht alles so ernst, Caro», bekam sie immer wieder von ihrer Mutter zu hören. Doch für Caroline war die Welt schon damals ein düsterer Ort.
Dad verstand das. Ihn störte es nicht, dass sie kein Haiku über Margaret Thatcher dichten konnte. Er war ganz zufrieden, wenn sie mit ihm durch die Ställe lief und ihm half, die Pferde zu striegeln und das Sattelzeug zu putzen. Selbst jetzt löst der Geruch von Sattelseife noch schöne Erinnerungen in ihr aus. Wann hat sich das verändert? Wahrscheinlich, als sie von ihren Reisen zurückkam, da hatte sie gelernt, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Dad bestärkte sie in der Entscheidung, nicht zu studieren. Ihre Mutter meinte angesichts von Carolines wenig eindrucksvollem Schulabschlusszeugnis nur ermunternd: «Du findest sicher trotzdem einen Platz an einer nicht ganz so anspruchsvollen Uni.» Doch Caroline wollte gar nicht an die Uni. Sie wusste, sie war keineswegs dumm; manchmal brauchte sie einfach nur etwas länger, um ein neues Konzept zu erfassen. Das war auch das Problem in der Schule gewesen. Wenn es Caroline endlich gelungen war, den Stoff zu begreifen, war ihre Klasse schon längst mit etwas anderem beschäftigt. Mit achtzehn jedenfalls hatte sie genug davon, sich ständig bemühen zu müssen, Dinge zu begreifen. Stattdessen wollte sie sie erleben.
Und das ist ihr auch gelungen. Sie hat den Kings Canyon gesehen, die Verlorene Stadt, den Garten Eden. Sie hat das Tal der Winde durchschritten. Sie hat die Sonne über dem Uluru auf- und über dem Südlichen Ozean untergehen sehen. Sie hat das rote Herz Australiens erreicht und ist mit den Toten durch die Traumzeit gewandert. Doch zu Hause behandelten alle sie immer noch wie die leicht zurückgebliebene Jüngste. Sie war voller Ideen, wie man den Rennstall umgestalten könnte. Sie hat eine Website eingerichtet, einen Tag der offenen Tür organisiert. Der Rennsport wirkte in ihren Augen viel zu elitär, sie wollte die Öffentlichkeit dafür gewinnen, den Leuten zeigen, wie viel den Trainern an ihren Pferden lag. Doch der Tag der offenen Tür war ein totales Fiasko geworden. Len weigerte sich rundheraus, auch nur irgendwen in die Nähe der Pferde zu lassen, weil das zu gefährlich sei, und ihr Vater war den ganzen Tag umherstolziert wie das schlimmste Klischee des arroganten Adligen. Und hinterher waren sich alle einig, Caroline solle doch bei dem bleiben, was ihr am besten lag: den Rennstall verwalten und sich im Hintergrund halten.
Caroline hat ihren Vater geliebt und wünscht sich nichts mehr, als dass er jetzt lang und schlaksig über den Hof käme und sie fragen würde, welche Pferde denn in Newmarket mitlaufen. Aber sie weiß auch noch, wie
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