Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
war es wieder aufgetaucht, steckte im Knust, die Schneide blutverschmiert. Seitdem hat der Kohlenkeller der Willes ein Vorhängeschloss.
Tom hat drei Stockwerke bewältigt. Vor ihm führen drei Stufen zur Dachwohnung hoch. Dort, auf halber Höhe der Wohnungen links und rechts, ist die Tür, die man einen Verschlag nennen könnte. Die Klingel hat einen Drehknopf, den Tom betätigt und es macht ratscheratsch!, und jemand kommt von drinnen eine Treppe runtergerannt, eilfertig, ungeduldig und reißt die Tür auf.
»Wo bleibst du denn? Jetzt aber rauf, sonst setzt’s was!« Die Stimme streng, aber nicht laut. Ein kantiges Kinn, hohe Wangenknochen, grüne Augen, die blitzen, ob vor Leidenschaft oder Zorn lässt sich nicht ausmachen, vielleicht ist es zornige Leidenschaft. Die Hände wringen ein Spültuch, wischen Hackfleischreste von den Fingerspitzen, es gibt Frikadellen.
Das ist Mama.
Sie wartet auf Tom, denn in einer halben Stunde, noch schnell bevor Papa nach Hause kommt, startet der Bräunungswettbewerb.
3
»Wenn du mich noch einmal anschreist, verdammter Kümmelmann, zieh ich dir den Arsch übers Gesicht, ist das klar?« Es ist die Stimme von Obersteiger Schotterbein, der die Grubenaufsicht hat, der sich vor einem Türken aufgebaut hat, als gelte es, diesen mit einem Wisch aus der Kaue zu fegen. Das wird Schotterbein nicht machen, aber anbrüllen lässt er sich nicht, von niemandem. Frank staunt über Schotterbeins Mut, denn Cemir Cülcze, seit einem Jahr in Franks Trupp, ist ein Bär von einem Mann. Nicht größer als einssiebzig, aber genauso breit. Hoch gewachsen sind sie alle nicht, diese Türken, aber zähe Typen, wie gemacht für die Arbeit unter Tage. Cemir ist einer, der gutmütig wirkt, obwohl er vor Kraft kaum gehen kann. Man sagt, er habe bei seinen Landsmännern was zu sagen, und wenn man sieht, wie sie vor ihm kuschen, fühlt man sich in dieser Annahme bestätigt.
Frank fragt sich, was da los ist. Schotterbein ist unbeliebt, keine Frage. Einer, der seine Autorität brutal ausnutzt, ein Mann ohne Freunde. Aber eine Auseinandersetzung vor allen Augen nach einer Schicht, also quasi während der Privatzeit, während der Entspannung, der Abwaschung, das lässt aufhorchen.
Jeder starrt die beiden Männer an. Sogar die Kettengelenke an der Kauendecke verstummen klickend. Wasser tropft. Das Scharnier einer Spindtür wimmert. Man hustet, zieht Rotze hoch, spuckt aus.
»Verfluchter. Arsch. Von. Gastarbeiter,« sagt Schotterbein und seine Stimme klingt, als dresche jemand mit einem Pickel auf einen Eisklotz. Jedes Wort ein Schlag.
Gastarbeiter. Seit fünf Jahren kommt jeden Morgen ein Zug in München an, besetzt mit jeweils fünfhundert so genannten Gastarbeitern, Immigranten aus Italien, Griechenland oder Portugal, nette Burschen, fleißig und verlässlich; seit zwei Jahren kommen auch Züge nach Köln, rappelvoll mit Türken, arme Bauern aus Anatolien, die man mit Bussen abholt und im Land verteilt, mit 1-Jahres-Arbeitsverträgen unter Tage lockt.
Griechen und Italiener behandelt man freundlich. Portugiesen halbwegs menschenwürdig. Türken indes sind das Allerletzte, Moslems zudem, deren beschnittene Penisse unter der Dusche, nicht selten neidvoll, von den deutschen Kumpels begutachtet werden wie exotisches Gewürm, sie sind Analphabeten, die von den Vorgesetzten wie räudige Straßenköter behandelt werden. Sie halten die Klappe, tun ihre Arbeit und man kann sich auf sie verlassen. Sie trinken selten Alkohol, sind, wie anzunehmen ist, deshalb ausgeglichener als deutsche Kumpels, kommen nie zu spät, tun, was man ihnen sagt und lachen oft und gerne. Worüber, ist schwer zu ergründen, da die meisten von ihnen kaum ein Wort Deutsch sprechen.
Sie lassen sich Pressionen aller Art gefallen, verlieren wie es scheint nicht ihren guten Willen, sind erbötig und leicht zu beherrschen. Allenfalls wenn man Cemir in den letzten Wochen in die Augen schaute, beobachtete, wie sie sich in dunkle Funkelkristalle verwandeln konnten, währenddessen seine Nackenmuskeln pulsierten und er Worte murmelte, die wie Flüche klangen, ahnten Frank und seine Arbeitskollegen etwas von seiner Empfänglichkeit für Herabsetzung.
Einige der Türken haben sich am Rande von Bergborn angesiedelt, wohnen zu fünft oder mehr in einem Zimmer, ohne fließendes Wasser, Heizung, mit schimmeligen Tapeten. Eine alte Siedlung, die zum Abriss steht und auf diese Weise noch einmal Erträge abwirft. Frank und die anderen
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