Alles auf Anfang: Roman (German Edition)
sich beugen und das schmerzt.
»Und jetzt putz mir meine Schuhe, und zwar dalli«, sagt Schotterbein und wirft sie dem Türken vor die Füße. Diese Geste ist so voller Abscheu, dass Frank und die anderen unwillkürlich zusammenzucken. Also um so etwas Lapidares, Bescheuertes geht es. Der Steiger will den Türken dazu zwingen, private Handlangerdienste zu verrichten, oder? Nein, will er nicht. Es geht ihm einen Scheiß um seine Schuhe, es geht ihm um Macht.
Das Verlangen nach Macht hat seine Quelle im Verlangen nach Vergnügen - hat mal jemand geschrieben, erinnert sich Frank. Welche Kurzweil bietet dieses Intermezzo Schotterbein? Kommt der gar nicht auf den Gedanken, dass Cemir ihn genauso wenig versteht, wie er ihn? Oder ist er der Meinung, dass Befehl und Ausführung losgelöst von Sprache funktionieren? Das könnte sein und würde für seine SS-Vergangenheit sprechen. Unter Tage braucht es nicht vieler Worte, um Anweisungen zu geben, über Tage mahlen die Mühlen anders – heutzutage.
Cemir zuckt nicht einmal, steht da wie aus Granit gemeißelt. Selten hat Frank einen derart zornigen Mann gesehen. Der weint keine Tränen, erkennt er, sondern messerspitze Steine. Ab sofort hat Schotterbein einen Feind. Und Schotterbein kapiert das. Die Gesten des Mannes werden verhaltener, sind weniger großkotzig, er hat nicht damit gerechnet, dass Cemir bei seinen ganz persönlichen Dingen nicht mitmacht, sich schweigend wehrt, denn nach diesem Schrei hat der Türke keine Töne mehr. Und es gaffen eine ganze Menge Kumpels zu. Der Steiger muss die Sache beenden, sonst hat er draußen in Bergborn ein Problem mit anatolischer Denkweise. Er und seine Familie. Aber wie? Es geht um seine Autorität.
Hart und blitzschnell scheuert er Cemir eine. Kaum jemand hat den Schlag gesehen aber alle haben das harte Klatschen gehört. Und Cemir steht, als sei nichts geschehen, lediglich die Augen des Türken glitzern gefährlich. Jeder hier spürt die Anspannung, ahnt das Unglück und das sich Cemir hier in der Kaue niemals wehren wird, denn er will seine Arbeit behalten.
»Mach, was man dir sagt, Kümmelfresser!«, spuckt Schotterbein aus. Cemir, frisch geduscht und mit nach hinten geklebten Haaren, hat ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Auf dem Brusthaar glänzt Fatimas Hand golden im Neonlicht.
In Schotterbeins Augen springt ein Funke hoch.
Einen, zwei Schritte und blitzschnell schiebt sich Frank zwischen die Streithähne. Seine Reflexe sind noch immer perfekt. Vier Jahre Fremdenlegion lassen sich nicht einfach aus der Welt schaffen, auch wenn’s lange her ist. Er riecht den türkischen Mann, das Fett, das der sich nach dem Duschen in die Haare geschmiert hat, riecht die Angst von Schotterbein, der sich übernommen hat. »Nun mach mal halblang, Steiger«, sagt Frank.
Der Schlag kommt wie erwartet. Frank fängt die Hand auf. Haut klatscht auf Haut. Sie starren sich an, der Steiger und der Bergmann. Schotterbeins Mundwinkel zucken, seine Gewalt entkrampft sich, Frank lässt die Hand los. »Halt dich da raus, Wille«, knurrt Schotterbein und reibt sich das Handgelenk.
»Die Sache ist rum, Steiger. Der Mann hat dir nichts getan. Er hat ein Recht auf seine Freizeit.« Frank lächelt. »Wir sind alle erschöpft. Es war ein harter Tag heute. Und Cemir ist ein prima Kerl, oder ...?«
Frank sucht die Blicke der anderen Kumpels, die wegblicken, sich räuspern. Einige Gastarbeiter stehen mit geöffnetem Mund da, weit aufgerissene weiße Augen in braunen Gesichtern. Es wird lauter, lärmiger, die Spätschicht rückt an. Sie alle müssen Platz machen für die Nächsten, die einfahren wollen. Auf diejenigen, die nicht in Bergborn wohnen, wartet der Zechenbus. Es wird Zeit, die Haare zu trocknen, die Plüdden einzusammeln, den ganzen Kram, den man mitnehmen will und vor allen Dingen das Geld nicht vergessen, von dem man einen guten Teil in der Kneipe lassen wird, denn heute ist Freitag. Die Unterwäsche in das karierte Tuch schlagen für zu Hause, für die Ehefrau oder Mutter, die es waschen muss, die restlichen Klamotten an die Kauendecke kurbeln, den Kamm, das Birkin fürs kräftige Haar oder die Fit Frisiercreme, die Armbanduhr von Anker oder Kienzle - alles, was hier nicht mehr hingehört, wenn die Schichtablösung kommt, muss noch schnell verstaut werden.
Der eine oder andere hat noch nicht mal geduscht. Da wird’s aber höchste Zeit. Gafft nicht rum, Männer. Husch, husch, pennen könnt ihr zu Hause. Das Uhrwerk beginnt wieder zu
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