Alles Gold der Erde
Lächeln. Das tat sie übrigens immer. Kendra lächelte zurück. Das tat sie übrigens immer. Kendra und ihre Mutter waren nie ungezwungen miteinander ausgekommen, aber sie taten wenigstens so.
Eva war fünfunddreißig. Sie hatte keine Ähnlichkeit mit ihrer Tochter; Kendra sah wie ihr Vater aus, an den sie sich nicht erinnern konnte. Eva war in der Tat eine schöne Frau. Mit ihren großen dunklen Augen und ihrem stets glatten und glänzenden braunen Haar strahlte sie eine anmutige Gelassenheit aus. Es überraschte niemanden, daß sie die Frau eines Obersten war. Als Loren berichtete, Kap Horn sei in Sichtweite, legte Eva ihre Arbeit zur Seite und erklärte, sie wolle sich diesen berühmten Felsen einmal ansehen. Bess und Bunker Anderson erboten sich, sie zu begleiten. Loren sagte, er habe einige Berichte zu prüfen, und ging in sein Quartier. Kendra legte Mantel und Schal ab und setzte sich.
Die gemütliche Kabine der Cynthia war mit Hartholz getäfelt; durch das Oberlicht fiel tagsüber Licht ein; abends steckten sie eine Lampe mit Walfischtran an. Der Steward servierte die Mahlzeiten unter diesem Oberlicht, wo Captain Pollock am Kopfende der Tafel saß und die Offiziere und Passagiere die Längsseiten einnahmen. Ihre Stühle waren festgeschraubt, damit sie bei stürmischem Wetter nicht den Halt verloren. In Erzählungen über das Meer hatte Kendra gelesen, daß man auf langen Reisen bloß Salzfisch und Schiffszwieback bekomme, und sie war erstaunt gewesen, daß die Speisen an Bord so gut waren. Natürlich erhielten sie Salzfleisch, aber zur Abwechslung auch Frischfleisch, denn sie hatten lebende Schweine und Geflügel in Verschlägen auf dem Vorschiff. Außerdem gab es Käse, Wurst, geräucherten Fisch, Kartoffeln, Zwiebeln, Erbsensuppe, Kohl und Trockenfrüchte. Bei besonderen Anlässen brachte Captain Pollock sogar eine Karaffe Wein, obwohl er selbst nie einen Tropfen trank.
Kendra interessierte sich für das Essen. Sie kochte nämlich gern. Oft probierte sie neue Rezepte aus und erfand auch welche. Aus Resten, die keiner mehr haben mochte, bereitete sie schmackhafte Gerichte. Wenn sie die Ferien im Haus ihrer Großmutter verbracht hatte, war sie immer in die Küche gegangen, sobald es ihr zu langweilig geworden war.
Doch hier auf der Cynthia konnte sie natürlich nicht kochen. Und nähen wollte sie nicht. Kendra haßte es geradezu, mit Nadeln zu hantieren, und sie war eine resolute junge Person. Entweder machte sie etwas richtig, oder sie machte es gar nicht. Für Halbheiten war sie nicht zu haben.
Ihre Mutter konnte ebenso gut nähen wie stricken und sticken, und sie hatte schon viele Handarbeiten gemacht, seit sie in New York ausgelaufen waren. Auf dem Tisch lag ihr derzeitiges Stück: eine Handtasche aus braunem Leinen, die sie mit ihren Initialen bestickt hatte, und zwar in einem Muster von Herbstblumen. Eva vergeudete nie ihre Zeit. Sie hat immer recht, dachte Kendra rebellisch. In ihrem ganzen Leben hatte sie nur einmal Unsinn gemacht, und dieser Unsinn war ihre Heirat mit Kendras Vater gewesen.
Es war ihr mit fünfzehn Jahren passiert. Eva lebte in Baltimore. Sie war das jüngste Kind der Familie und das einzige Mädchen, hübsch, verhätschelt und gewöhnt, seinen Willen durchzusetzen. Eines Morgens ritt sie mit einem achtzehnjährigen Jungen namens Baird Logan durch die Gegend. Eva und Baird bildeten sich ein, sie liebten einander, und beschlossen im Handumdrehen, durchzubrennen und zu heiraten – was für ein verteufelt romantisches Abenteuer mußte das doch sein! Also begaben sie sich schnurstracks zu dem Friedensrichter einer benachbarten Kleinstadt, machten sich ein paar Jahre älter, und der Richter, ein närrischer alter Mann mit schwachen Augen, nahm ihre Flunkerei für bare Münze und traute sie. Eva jagte nach Hause, packte ein paar Kleider, kritzelte eine Notiz und stahl sich ungesehen davon. Und auf ging's zu einer Spritztour. Das waren ihre Flitterwochen.
Nach acht Tagen hatten ihre entsetzten Eltern sie jedoch schon aufgestöbert und wieder heimgeholt. Die beiden Väter wandten sich an einen Advokaten, der dafür sorgen sollte, daß die Ehe annulliert wurde. Baird und Eva erhoben keine Einwände; sie waren bereits enttäuscht von ihrer Eskapade und wollten nichts mehr voneinander wissen. Doch ehe das Annulierungsverfahren begann, entdeckte Eva, daß sie ein Kind bekommen würde.
Sie weinte und tobte. Die beiden Väter rannten im Flur auf und ab und fragten sich, wie um alles in
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