Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
Vom Netzwerk:
dieser Natur (vielleicht der graue Sand oder die Knospen der Bäume) hatte ihm wohl zu verstehen gegeben, dass seine Ruhe nun wirklich begann. Die Leute, die das Büchsenfleisch und den Zwieback in die Kisten packen, dort oben, Tausende von Kilometern entfernt, wissen nicht, wie kostbar dieses Holz ist. Wahrhaftig ein mit Sorgfalt zu behandelndes
Holz! Eine Kiste ist immer nützlich, und wer auch nur eine besitzt, verschönt sich sein Zelt mit einem außergewöhnlichen Möbelstück; in ruhigen Zeiten kann er noch das Bild der geliebten Frau daraufstellen, zwischen ein Buch und den Tabaksbeutel. Es ist weniger schwierig, sich eine Frau zum Lieben zu verschaffen, als eine Kiste.
    Kein einziger Lastwagen. Die Arbeiter hatten wohl wegen der Hitze aufgehört zu arbeiten und aßen. Sie waren neu angekommen, nach den großen Sonnenbrillen zu schließen, die sie noch nicht weggeworfen hatten. Sie saßen vor ihren Zelten und plauderten mit dem Carabiniere des Postens, noch erstaunt darüber, dass es sie nach hier unten verschlagen hatte in dieses Land, das so anders war als jenes Afrika ihrer Vorstellung.
    Also, kein Lastwagen. Sie sagten, dass derjenige der Baustelle vor kurzem weggefahren sei, und man hörte tatsächlich den Motor schon weit entfernt auf den ersten Steigungen.
    «Kommt er zurück?»
    «Morgen früh», sagte ein Arbeiter, ganz verwundert darüber, dass ich so etwas Wichtiges nicht wusste.«Er kommt morgen früh wieder mit den Lebensmitteln und der Post.»
    Lebensmittel und Post. Ich tastete durch den Stoff der Tasche nach dem letzten Brief von«ihr». Er war am Tag zuvor angekommen. Ein langer
Brief, eng beschrieben mit einer regelmäßigen, runden und zarten Schrift; auch rings um den Rand waren die Bogen vollgeschrieben, nirgends ein weißer Zwischenraum: so richtig ein Brief zum Wiederlesen. Aber wenn nicht endlich ein Lastwagen käme, dann würde ich hierbleiben müssen. Ich begann die Ruhe zu verlieren, meine Reise war zum Scheitern verurteilt. Nun erklärte ich, woher ich kam und wie wichtig es für mich wäre, so schnell wie möglich aufs Hochland zu gelangen; und ich erzählte ihnen von dem Unfall. Während ich sprach, sah ich, dass sie keine Miene verzogen. Ich erwartete gewiss nicht, großes Interesse zu erwecken, aber diese Arbeiter machten überhaupt keine Bemerkungen und auch keine Vorschläge. Umgekippte Lastwagen gibt’s eben viele in Afrika.
    «Um diese Zeit kommt schwerlich ein Lastwagen vorbei», sagte schließlich der Carabiniere. Er stellte verschiedene Vermutungen an, redete von Kraftwagenkolonnen, die vielleicht vorbeikämen, aber vielleicht auch nicht; und dabei beobachtete er mich, am Boden ausgestreckt, den Helm in die Stirn geschoben.
    «Wenn ich hinaufgehe, wo finde ich dann die ersten Lastwagen?»
    «Zwölf Kilometer von hier ist ein Etappenkommando, gerade bei der Bergwand», sagte der Carabiniere
und gähnte ausgiebig. Zwölf Kilometer wären drei Stunden Marsch, wenn die Hitze nicht vier daraus machte! Und es war der ungeeignetste Augenblick, um ein derartiges Unternehmen zu beginnen; doch ich musste mich entscheiden.«Wie lange brauche ich, Ihrer Meinung nach?»
    Aus den ersten Antworten begriff ich, wie überflüssig meine Frage war; aber ich hatte sie gestellt, weil es mir zuwider war fortzugehen und ich Vorwände suchte, um zu bleiben. Die Arbeiter beschimpften einander zum Spaß im Dialekt, und auch bei dieser Gelegenheit fanden sie einen Anlass, ihren Lokalpatriotismus hervorzukehren. Sie warfen sich gegenseitig mangelnden Sinn für Entfernungen vor (auch sie hatten einen Vorwand gefunden, allerdings um sich zu belustigen), und schließlich einigte man sich darauf, dass ich vier Stunden brauchen würde.
    «Wenn Sie rasch laufen, schaffen Sie’s schnell», sagte eine Stimme hinter mir. Ich schaute mich um, wer geredet hatte: Es war ein blonder junger Mann, ziemlich schüchtern, und als ich ihn ansah, verhaspelte er sich, während er mir noch einmal seine Ansicht auseinandersetzte, die durchaus nicht ironisch gemeint war. Beim Abstieg hatten die Tabletten gegen die Zahnschmerzen mir allen Appetit genommen. Die Hitze hier unten war unerträglich. Ich machte mich an die erste Steigung;
aber ich war noch keine hundert Schritte gegangen, als ich hörte, dass ich gerufen wurde: Der blonde Arbeiter lief hinter mir her, und als er nicht mehr weit von mir entfernt war, sagte er:«Wenn Sie die Abkürzung nehmen, ersparen Sie sich die Hälfte der Zeit.»Er blieb stehen, sah mich an

Weitere Kostenlose Bücher