Gnadentod
1
Ironie kann ein reichhaltiges Dessert sein. Deshalb ließen es sich einige Leute tüchtig schmecken, als veröffentlicht wurde, was man in dem Lieferwagen gefunden hatte. Diejenigen, die glaubten, Eldon H. Mate sei der Todesengel.
Diejenigen, die ihn für die personifizierte Barmherzigkeit hielten, trauerten.
Ich betrachtete die Geschichte aus einer anderen Perspektive, hatte meine eigenen Sorgen.
Mate wurde in den frühen Morgenstunden eines nebelverhangenen, säuerlich riechenden Montags im September ermordet. Da es bis zum Sonnenuntergang weder Erdbeben noch Kriege gab, war der Todesfall den Abendnachrichten eine Spitzenmeldung wert. Am Dienstag folgten Schlagzeilen in der Times und den Daily News. Aus dem Fernsehen war die Story binnen vierundzwanzig Stunden wieder verschwunden, aber die Zeitungen brachten in ihren Mittwochsausgaben eine kurze Zusammenfassung. Insgesamt vier Tage Berichterstattung, das Maximum in L. A., das für seine kurze Aufmerksamkeitsspanne berüchtigt ist, wenn die Leiche nicht die einer Prinzessin ist oder der Mörder sich Anwälte mit Oscar-Ambitionen leisten kann.
Keine rasche Aufklärung in diesem Fall; kein Durchbruch irgendeiner Art. Milo war zu lange in seinem Job, um mit etwas anderem zu rechnen.
Er hatte einen unbeschwerten Sommer gehabt, der ihm ein Quartett wunderbar dämlicher Totschlagsdelikte in den Monaten Juli und August beschert hatte - ein Fall von häuslicher Gewalt, der vollkommen ausgeartet war, und drei verblödete Säufer, die andere Trinker in irgendwelchen schmutzigen Westside-Bars erschossen hatten. Vier Mörder, die sich lange genug am Tatort aufgehalten hatten, um geschnappt zu werden. Das war gut für seine Aufklärungsquote und machte es ein bisschen - wenn auch nicht viel - leichter, der einzige bekennende schwule Detective im LAPD zu sein.
»Ich wusste, dass ich fällig war«, sagte er. Es war der Sonntag nach dem Mord, als er mich zu Hause anrief. Mates Leiche war seit sechs Tagen kalt, und die Presse hatte sich anderen Themen zugewandt.
Das war Milo durchaus recht. Wie jeder Künstler sehnte er sich nach Einsamkeit. Er hatte seinen Teil dazu beigetragen, indem er den Medien nichts Konkretes in die Hand gegeben hatte. Anweisung von oben. In einem Punkt waren er und seine Vorgesetzten einer Meinung: Journalisten waren fast immer der Feind.
Was die Zeitungen gedruckt hatten, war aus Archivmaterial zusammengeklaubt: die unvermeidlichen ethischen Debatten, alte Fotos, alte Zitate. Abgesehen von der Tatsache, dass Mate an seine eigene Tötungsmaschine angeschlossen worden war, hatte man nur die oberflächlichsten Details freigegeben:
Lieferwagen an abgelegenem Teil des Mulholland Drive geparkt, Entdeckung durch Spaziergänger kurz nach Tagesanbruch.
DR. DEATH ERMORDET.
Ich wusste mehr, weil Milo es mir erzählte.
Das Telefon klingelte um acht Uhr, als Robin und ich gerade mit dem Abendessen fertig waren. Ich stand vor der Haustür und hielt die Leine in der Hand, an deren anderem Ende Spike zerrte, unsere kleine Französische Bulldogge. Spike und ich freuten uns beide auf einen Abendspaziergang durch das Tal. Er liebte die Dunkelheit, weil ihm das Vorstehen bei raschelnden Geräuschen gestattete, sich als Jäger von edler Geburt zu gebärden. Ich war gerne draußen, weil ich den ganzen Tag über mit Menschen zu tun hatte und mir die Einsamkeit immer willkommen war.
Robin ging ans Telefon, erwischte mich gerade noch rechtzeitig und übernahm schließlich den Spaziergang mit dem Hund, während ich in mein Arbeitszimmer zurückkehrte.
»Mate ist dein Fall?«, fragte ich. Ich war überrascht, weil er es mir nicht schon früher erzählt hatte, und plötzlich nervös, weil meine Woche dadurch erheblich komplizierter werden würde.
»Wer sonst verdient solches Glück?«
Ich lachte leise und fühlte, wie sich meine Schultern verkrampften und die Muskeln rund um meinen Hals zusammenzogen. Ich machte mir Sorgen, seit ich von Mate gehört hatte. Ich hatte lange nachgedacht und schließlich jemanden angerufen, der nicht zurückgerufen hatte, doch dann hatte ich die Angelegenheit auf sich beruhen lassen, weil es keinen Grund gab, dies nicht zu tun. Es war wirklich nicht meine Sache. Doch jetzt, wo Milo involviert war, sah alles ganz anders aus.
Ich behielt meine Sorgen für mich. Sein Anruf hatte nichts mit meinem Problem zu tun. Reiner Zufall - eine dieser hässlichen kleinen Überschneidungen. Oder vielleicht gibt es ja wirklich nur hundert Menschen
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