Alles über Elfen (German Edition)
Von den Nöten eines neutralen Elfologen
Elfen.
Kaum ein anderes Volk ruft bereits bei der bloßen Nennung seines Namens derart widersprüchliche Reaktionen hervor.
»Ah, das Schöne Volk«, seufzen die einen entrückt und beginnen sofort damit, von lauschigen Waldlichtungen zu träumen. Von anmutigen Tänzern, die ihre perfekten Körper zu sphärischen Klängen in harmonischem Einklang mit der Natur bewegen. Von betörenden Antlitzen, deren Lippen sanfte Zauber murmeln, die dennoch die Macht besitzen, über das Schicksal der gesamten Welt zu entscheiden.
»O Gott, die Spitzohren«, murren die anderen auf der Stelle und werden nicht müde, sich über die Objekte ihrer Abscheu auszulassen. Über die weiche, schwächliche Erscheinung. Über das ewige Gesinge zu Ehren irgendwelcher dämlicher morscher Bäume, die längst gefällt gehören. Über die Unart, sich in völlig übertriebener Arroganz von allen anderen Völkern abzuschotten, und die Weigerung, sich den wahren Herausforderungen der Welt tapfer zu stellen, weil man sich lieber den lieben langen Tag das seidige Haar zu Zöpfen flicht oder unnütze Schießübungen mit Pfeil und Bogen veranstaltet.
Ein Elfologe, der sich einer gewissen Neutralität bei der Betrachtung seines Untersuchungsgegenstands verpflichtet fühlt, sieht sich folglich mit einigen Nöten konfrontiert: Wie wird er beiden Parteien seines tief gespaltenen Publikums gerecht? Wie stellt er die Elfen einigermaßen fair und ausgewogen dar? Wie verhindert er, dass er – vielleicht sogar ohne es zu beabsichtigen – der einen oder der anderen Sichtweise mehr Platz einräumt oder gar versehentlich Halbwahrheiten, Klischees und Vorurteile verbreitet?
Ein naheliegender Ansatz wäre natürlich, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen. Bedauerlicherweise sind Elfen – wie die meisten Völker ihrer Art – notorisch öffentlichkeitsscheu. Begegnungen mit ihnen sind selten, und wenn man das Glück hat, einen Elf in Plauderlaune zu erwischen, steht man vor dem nächsten Problem: Aufgrund ihrer sehr eigentümlichen Weltsicht neigen Elfen dazu, sich in einer Art und Weise auszudrücken, die uns Menschen oftmals verwirrend bis frustrierend scheint. Zwei Beispiele aus meinen Erfahrungen im Felde illustrieren dies hoffentlich zur Genüge.
Beispiel 1
Frage meinerseits: »Wie lange leben Elfen denn nun genau?«
Antwort des Elfen: »So lange, bis sie sterben.«
Beispiel 2
Frage meinerseits: »Wo liegt denn der Ursprung deines Volks?«
Antwort des Elfen: »In der Morgenröte der Zeit, dicht verwoben mit den Wurzeln der träumenden Bäume.«
Ich halte also fest: Die Aussagen von Elfen über sich selbst helfen uns in unserer Betrachtung dieses Volkes nur sehr bedingt weiter. Noch dazu sind sie nicht geeignet, für einen Ausgleich zwischen Elfenbewunderern und Elfenhassern zu sorgen, denn sie lösen die Widersprüchlichkeiten in unserer Wahrnehmung dieses Volkes schlicht und ergreifend nicht auf.
Deshalb habe ich mich dazu entschieden, eine andere Strategie anzuwenden: Ich werde mich diesen Widersprüchlichkeiten stellen und sie gründlich aufarbeiten. Warum? Nun, womöglich ist es genau diese Wandelbarkeit der Elfen, die ihre wahre Natur ausmacht, und vielleicht hängt es tatsächlich nur vom jeweiligen Blickwinkel eines Betrachters ab, wie die Elfen uns erscheinen.
Wenn dem so ist, dann empfiehlt es sich, beide Seiten gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen. Zu diesem Zweck habe ich Kontakt zu zwei Fachleuten aufgenommen, die in ihrer Beurteilung alles Elfischen kaum zu unterschiedlicheren Einschätzungen gelangen könnten: Christiansen und Plischke, die mich bereits bei meiner gründlichen Erforschung des Hobbittums tatkräftig unterstützten. Der eine ist ein bekennender Freund der Zwerge sowie aller anderen kleinen Völker und hat dementsprechend – wenig überraschend – eine eher kritische Sicht auf Elfen. Beim anderen handelt es sich um einen vehementen Verfechter der These, dass wir Menschen gut daran täten, uns die Elfen und deren Weltanschauung, Sozialgefüge und Umgang mit der Natur zum Vorbild zu nehmen. Sie erklärten sich freundlicherweise bereit, meine eigenen Ausführungen über die Elfen überall dort zu kommentieren, wo es ihrer Auffassung nach dringend angebracht war. [Christiansen: Und an solchen Stellen herrschte hier in der Rohfassung wahrlich kein Mangel. Plischke: Sehr schön, dass wir uns wenigstens in einem Punkt einmal einig sind, Herr Kollege.]
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