Alles über Elfen (German Edition)
als diese ihrer Heimat entrissen wurden – eine weitere Geschichte, die einen darauf hoffen lässt, dass es zwischen vernunftbegabten Geschöpfen in Wahrheit keine unüberbrückbaren Gräben gibt.
Amerika
Auch wenn echte Geografen dabei etwas bleich um die Nasenspitze werden, werfen wir im Folgenden Nord-, Mittel- und Südamerika frech in einen Topf. Die Geografomythik ist nun einmal keine Disziplin für feste Grenzziehungen – Sagen und Legenden lassen sich das Reisen ebenso wenig verbieten wie wir.
Für Amerika gilt übrigens das Gleiche wie für die allermeisten Regionen der Welt, in die die Europäer im Zuge der Kolonialisierung eingefallen sind: Wir Menschen haben bei unseren großen Wanderungsbewegungen mehr im Gepäck als Wegzehrung [Christiansen: Ja, Waffen zum Beispiel. Kollege Wolf tut gerade so, als würde da jemand zu einer heiteren Kaffeefahrt aufbrechen – und nicht dazu, bei nichts ahnenden Leuten einzufallen und mehr oder minder ihre komplette Kultur auszulöschen. Plischke: Ich glaube, Kollege Wolf ist nicht ganz so blauäugig, wie Sie ihn hier darzustellen versuchen, aber das ist letztlich auch gar nicht der Punkt.] – wir schleppen unter anderem unsere Fabelwesen mit (oder zumindest die Geschichten über sie, und zwar gut verstaut in unseren Köpfen). Unglücklicherweise bedeutet das in jenen Fällen, in denen die Wanderer zugleich als Eroberer auftreten, auch sehr häufig, dass den Besiegten die metaphysischen und mythologischen Vorstellungen der Sieger aufgezwungen werden. Uraltes Wissen, das über Jahrtausende hinweg bewahrt wurde – vielerorts noch dazu ausschließlich in mündlicher Form –, wird unwiderruflich ausgelöscht. Die wenigen Überbleibsel des Alten werden durch das Neue gewissermaßen eingefärbt, was vielen Wissenschaftlern und Forschern jedweder Couleur die Arbeit unfassbar erschwert. Fragen Sie bei Gelegenheit mal einen Linguisten, der sich mit Sprachgeschichte befasst, etwas näher zu diesem Thema. Mit etwas Pech werden Sie einen erwachsenen Menschen hemmungslos weinen sehen. Völlig zu Recht.
Curupira
Verbreitungsgebiet: Brasilien (unter anderen Bezeichnungen auch generell in vielen bewaldeten Regionen Lateinamerikas).
Ein Geschöpf mit einer körperlichen Eigenschaft, die viele als Missbildung bezeichnen würden, drängt sich nicht unbedingt als Kandidat für eine Verbindung zum Schönen Volk auf. [Christiansen: Es gibt übrigens auch Leute, die spitze Ohren jetzt nicht zwingend als furchtbar attraktiv empfinden. »Missbildung« ist ein hässlicher Begriff.] Sobald man jedoch davon erfährt, zu welchem Zweck der Curupira seine nach hinten weisenden Füße einsetzt, sieht der Fall schon ein wenig anders aus: Er legt damit falsche – im Sinne von verwirrenden – Spuren für Jäger aus, die den Wald nicht respektieren. Mangelnder Respekt besteht beispielsweise darin, mehr zu jagen, als man braucht, oder Junge führenden Muttertieren nachzustellen. [Plischke: Bambi hätte sich sicher gewünscht, dass Curupiras noch wesentlich weiter verbreitet sind.] Es stellt sich die berechtigte Frage, ob dem Curupira seine verdrehten Füße nicht nur von Waidmännern angedichtet werden, die einer seiner Listen aufgesessen sind.
Was die genaue Größe des Curupira angeht, schwanken die Schilderungen: Mal heißt es, er wäre so groß wie ein Mensch, mal ist die Rede von einer zwergenhaften Erscheinung. Wie wir es in unseren historischen Betrachtungen für das europäische Elfenbild aufgearbeitet haben, sind solche Größenverwirrungen in Bezug auf Elfen nichts Ungewöhnliches. Was einen gewissen Anlass für Zweifel an seiner Elfenverwandtschaft bietet, ist der Umstand, dass er in einigen Varianten als schön beschrieben wird, in anderen jedoch eher garstig daherkommt. [Christiansen: Die Übersetzung seines sprechenden Namens – »Der von Brandblasen Bedeckte« – ist auch nicht gerade appetitlich. Plischke: Sein Name rührt aber wahrscheinlich von seiner ungewöhnlichen Haarfarbe her – in seiner am häufigsten gesichteten Gestalt hat der Curupira eine feuerrote Mähne.] Auch hier gebe ich zu bedenken, dass der Curupira oft von ertappten fiesen Jägern gesehen wird, und wir wissen sicher alle, dass man über das Aussehen von Personen, die man nicht ausstehen kann, gelegentlich einmal nicht sehr fair urteilt.
Ungeachtet seines genauen Aussehens besitzt der Curupira so manche Eigenschaft, die ungemein elfisch wirkt:
Er ist in der Lage, magische Trugbilder zu erzeugen, die sehr
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