Alles über Elfen (German Edition)
dem sie es sich häuslich eingerichtet hat: »Mami« heißt Frau und »Wata« Wasser. Sie wird zwar in der Regel als Einzelgeist gesehen, doch die hohe Zahl an Sichtungen über ein derart großes Gebiet lässt für mich nur den Schluss zu, dass wir es bei »ihr« mit einem ganzen Volk von Geschöpfen zu tun haben. Ich lasse mich unter anderem deshalb zu dieser Annahme verleiten, da immer wieder davon berichtet wird, Mami Wata würde auch in männlicher Gestalt in Erscheinung treten.
Doch zurück zu ihrem Reich: Dorthin bringt sie angeblich Menschen, die ihr gefallen, zu kürzeren oder längeren Besuchen. Ungeachtet der genauen Aufenthaltsdauer mangelt es ihren Gästen an nichts, da im Zuhause Mami Watas offenbar ein wahrer Überfluss an Freuden und Genüssen herrscht. Bei ihrer Rückkehr sind die Menschen im Übrigen oftmals entspannter, attraktiver und reicher als zuvor – und zudem mit einem tieferen spirituellen Verständnis für die wahre Verfasstheit der Welt gesegnet. [Plischke: Klingt fast wie ein Besuch in Bruchtal oder Lothlórien. Christiansen: Ja, wenn es dort einen Schönheitssalon und ein großzügiges Kreditinstitut gäbe.] Darüber hinaus, so wird gemunkelt, sind ihre Kleider trocken – vielleicht nur ein Detail, aber womöglich ein entscheidendes. Es legt nämlich eines für mich nahe: dass Mami Watas Reich mehr eine echte Anderswelt wie die der Elfen generell und weniger ein Unterwasserreich im eigentlichen Sinne darstellt, in dem man befürchten müsste, Arielle der Meerjungfrau über den Weg zu schwimmen.
Der eben geschilderte Ablauf gilt des Weiteren nur für zufällige Begegnungen. Zahlreiche andere Anekdoten nehmen ihren Anfang damit, dass ein Mensch auf etwas stößt, was Mami Wata am Strand zurückgelassen hat – meist einen Spiegel, einen Kamm oder etwas Ähnliches, denn Mami Wata ist notorisch eitel. Anschließend wird das Fundstück von dem Menschen mit nach Hause genommen. Dort erscheint ihm dann die gute Mami Wata im Traum und fordert ihren Besitz zurück. Erklärt sich der Mensch dazu bereit, ringt sie ihm zusätzlich das Versprechen ab, ihr von da an sexuell treu zu bleiben. [Christiansen: Typisch Spitzohr. Da kriegt sie schon zurück, was sie liegen gelassen hat, und stellt dann noch unverschämte Forderungen. Und da muss ich mir allerorten anhören, Zwerge wären ja so furchtbar gierig.] Weigert sich der Mensch, den Forderungen Mami Watas an irgendeinem Punkt nachzukommen, bestraft sie ihn dafür – die Bandbreite an Vergeltungsmaßnahmen reicht von bitterer Armut bis hin zu Unfruchtbarkeit beziehungsweise Impotenz. Diese Episoden erinnern mich an zweierlei: die allgemein verbreitete Ansicht, dass es gefährlich ist, den Elfen etwas zu nehmen, was ihnen gehört, sowie die große Bedeutung von Treue in erst einmal zustande gekommenen romantischen Beziehungen, die Tolkien für seine höfischen Elfen erwähnt.
Es gibt noch weitere Eigenschaften, die Mami Wata ohne jeden Zweifel in die Nähe von Elfen rückt:
Sie verfügt über eine mächtige Form der Heilmagie, die selbst die schwersten Leiden und Gebrechen zu heilen vermag. [Christiansen: Wobei man nicht vergessen sollte, dass sie auch sehr wohl in der Lage ist, all jenen, die nicht nach ihrer Pfeife tanzen, ebendiese Leiden und Gebrechen auch an den Hals zu hexen.]
Sie gilt als Hüterin der Natur – wer dem Wald schadet, in dem er zu viele Tiere tötet, zieht ihren bisweilen tödlichen Zorn auf sich. [Plischke: Der Genauigkeit halber sei hier aber erwähnt, dass ihr diese Rolle belegtermaßen nur in Trinidad und Tobago zugeschrieben wird.]
Sie erscheint oft mit einer Schlange, die sich um ihren Körper windet und ihr dennoch vollkommen freundlich gesonnen ist – aus unserer Perspektive ein wenig vertrauenerweckendes Vertrautentier, aber es kann sich ja nicht jeder mit edlen Rössern und zwitschernden Vögelchen umgeben.
Verwandtschaftsgrad mit den »klassischen« Elfen: Sehr hoch, wobei ich ein Phänomen besonders spannend finde: die Ausbreitung der Mami Wata nach Westen, die mit der Versklavung und Verschleppung der Menschen aus Afrika einherging. Im Normalfall suchen Elfen nicht unbedingt einen engen Kontakt zu ihren menschlichen Nachbarn. Wie im vorangegangenen Kapitel umrissen, wirft man ihnen zudem auch häufig ein bis zur Grausamkeit reichendes Desinteresse am Schicksal der Menschen in ihrer Umgebung vor. All dies steht der Tatsache gegenüber, dass die Mami Wata »ihren« Menschen allem Anschein nach gefolgt sind,
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