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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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erschien auch Katharina, ganz in Schwarz: schwarze Hosen, schwarzer Pullover, schwarze Stiefel und auf der Brust ein ovales Medaillon, golden mit einer brillantenen Träne drauf. Sie hatte sich gerade etwas hingelegt, und nun war sie neugierig, was denn nun schon wieder los war.
     
    Wie sich herausstellte, kam die junge Frau aus Mitkau. Gisela Strietzel hieß sie – «Ich bin die Gisela.» Sie hatte wochenlange Truppenbetreuung in Lazaretten hinter sich, und jetzt mußte sie sich nach Allenstein durchschlagen, drei Tage Königsberg, drei Tage Insterburg und zwei Tage Mitkau: Lazarettabende, auf denen sie den dankbaren Verwundeten Freude spendete. Soldaten, die es erwischt hatte: Arme und Beine weiß eingepackt, mancher mit umwickeltem Kopf!
    Nun würde noch Allenstein zu bewältigen sein, eine Woche, und danach gehe es endlich mal wieder nach Haus, nach Danzig, der Papschi wartete schon. Aber die Bahnstrecke war durch einen Bombentreffer unterbrochen, und das Auto, mit dem sie hätte befördert werden sollen, hatte auf sich warten lassen, kein Benzin. Und weil ihr das zu lange dauerte, hatte sie sich einen Schlitten für das Gepäck geliehen und war losgezogen, querfeldein: Was kost’ die Welt? Den Schlitten würde man irgendwann dem Lazarett wieder zustellen müssen. Das war auch noch so ein Problem ... Vielleicht wären ihr ja die Herrschaften behilflich?
    Danach würde dann auszukundschaften sein, wie man nach Allenstein kam. Das müßte doch mit dem Deibel zugehn?
     
    Weshalb das Fräulein nicht die reguläre Chaussee genommen hatte, blieb ein Rätsel. Querfeldein? Warum denn das? «Ich schlag’ gern mal über die Stränge», sagte sie, und das mußte man wohl akzeptieren.
    Sie zog die Handschuhe aus, die Schuhe und den Mantel und band die Koffer vom Schlitten. Der Schlitten konnte im Windfang stehen bleiben, und der ließ sich abschließen. Seit einigen Tagen hatte sich die Landstraße belebt, hochbepackte Wagen, einzeln, und dazwischen Menschen mit Fahrrad oder Kinderwagen. Alle von Ost nach West. Für einen Schlitten hatte in diesen Zeiten jeder Mensch Verwendung.
     
    Es war klar, daß man sie nicht gleich wieder auf die Straße setzen konnte, wochenlange Lazarettbetreuung und eine junge Frau? Ein Mensch, der seine ganze Seele hingab, Freude zu spenden unglücklichen Männern, die sich das Soldatenleben ganz anders vorgestellt hatten?
    Damit man sie nicht sogleich wieder hinauskomplimentierte – in dieser schweren Zeit hat ein jeder mit sich selbst zu tun –, öffnete sie einen der beiden Koffer und holte ein «Frontkämpferpäckchen für den Großeinsatz» heraus, das man ihr in Mitkau noch mit auf den Weg gegeben hatte. Sie legte das Päckchen auf den Tisch und öffnete es: Schokolade, Kekse, Zigaretten und Traubenzucker. Katharina von Globig, Peter und das Tantchen sahen zu. Peter kriegte die Zuckertäfelchen, und dem Tantchen wurde die Dose mit der Fliegerschokolade hingeschoben. Von den Zigaretten steckte sich Katharina sogleich eine an.
    Ob er Führer sei bei den Pimpfen, fragte das Fräulein Strietzel den Jungen. Nein, das war er nicht, und es war für das Fräulein schwer zu verstehen, daß es hier auf dem Lande nicht so genau genommen wurde mit dem Dienst. Drüben in der Siedlung ja, aber hier nicht? Erkältung? War das denn ein Grund, sich hinter dem Ofen zu verstecken? Was sollten da unsere Soldaten sagen? In Schnee und Eis?
    Der Junge steckte sich ein Täfelchen Traubenzucker in den Mund, und Katharina sog an der Zigarette. Das Fräulein Strietzel trat an das Fenster, ob der Wagen nicht vielleicht doch noch kommt, aber es wurde dunkler und dunkler, und schließlich zeigte man ihr das Sofa neben dem Kamin, auf dem sie sich ohne weiteres würde langmachen können und ein bißchen verschnaufen, bis zum Abendessen sei noch Zeit, und sie tat es, sie legte sich hin und schlief sofort ein. Sie wachte erst wieder auf, als der Pole Wladimir Kaminholz brachte und neben ihr auf den Fußboden warf und sich bei der Gelegenheit den neuen Gast besah. Ein Handbeil legte er neben das Holz.
     
    Als der Duft von Bratkartoffeln in ihre Nase stieg, wurde sie ganz wach. Daß ein Pole hier so ohne weiteres ein und aus ging, wunderte sie. Wurden diese Leute nicht frech, wenn man ihnen den kleinen Finger reichte, ihnen Freiheiten einräumte, von denen die in ihrer Steppe doch nur träumen konnten? War das nicht überhaupt verboten? Man wußte es doch noch, daß die Polen am Blutsonntag in Bromberg Volksdeutsche

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