Alles Umsonst
geschlichen und hielten das Ohr an die Tür. Wladimir stand in der Stalltür, das «P» schief an der Jacke, und sah in den glitzernden Nachthimmel. Der hatte auch so seine Gedanken. War das Grummeln im Osten lauter geworden? Eben noch mal nach den Pferden sehen.
Ein reguläres Hauskonzert! Peter saß mit seiner Mutter auf dem Sofa. Peter links und Jago rechts, die Mutter in der Mitte. Der Hund setzte ein paarmal an, ob er nicht auch seinen Gefühlen freien Lauf lassen sollte und sich auf seine Weise beteiligen an diesem Konzert, aber er ließ es dann doch bleiben. Der Kater suchte das Weite, der war für hohe Töne nicht zu haben. Das Flötenkonzert in Sanssouci, das kannte man ja. Wie der Große König da seine Flöte blies, Otto Gebühr, und die Damen des Hofes um ihn herum?
Wenn man von diesem großartigen Besuch etwas geahnt hätte, dann hätte Onkel Josef aus Albertsdorf herüberkommen können mit Tante Hanna, oder aus Mitkau gar der Bürgermeister? – Am Johannistag im letzten Jahr, damals, als sie gemeinsam gesungen hatten unter der Blutbuche im Park, lange her!, mit Eberhard, den Berlinern und Onkel Josef mit den Seinen, die alten schönen Lieder. «Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum ... »? Dr. Wagner noch mit seinen nervigen Händen. Wenn er sich seinen Spitzbart abrasieren würde, sähe er gewiß viel jünger aus.
Aber jetzt war nicht laue Johannisnacht mit Glühwürmchen, Bowle und gemeinsamem Singen, jetzt war Winter, und es herrschten 18 Grad Kälte, und eiskalte Sterne glitzerten am schwarzen Himmel.
Dachte Katharina auch an die Johannisnacht? Dachte sie daran, daß man von ihr gesagt hatte, sie tauge eigentlich zu gar nichts? Anstatt daß sie mal zupackt? Sähe die Arbeit nicht? – Die Tante hatte es sogar den beiden Mädchen in der Küche erklärt, daß Katharina zwei linke Hände hat und den lieben Gott einen guten Mann sein läßt. Lothar Sarkander war aus Mitkau gekommen, und er hatte hinter ihr gestanden in jener warmen Nacht, und er hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt.
Katharina war mit ihm in den Saal getreten, die Türen hatten offengestanden, Rosen links und rechts am Spalier sich herunter- und hinaufplusternd. Und Lothar Sarkander, Bürgermeister von Mitkau, hatte auf die kleine Gesellschaft dort draußen auf dem Rasen gezeigt und hatte gesagt: «Ist es nicht ein Bild?»
Ein steifes Bein hatte er und Schmisse an der Wange. Eberhard hatte seitab am Waldrand gestanden, ernst und still.
Ob sie lieber aufhören soll, fragte Fräulein Strietzel und setzte das Instrument ab. Nein, nein, es gehe schon, sagte Katharina und nahm eine Zigarette. Fräulein Strietzel hatte Verständnis für die Stimmung, in der Katharina sich befand. «Immensee», die Sache mit den Seerosen ... Theodor Storm! Der Film war gerade gelaufen in den Mitkauer Lichtspielen. Sie nahm das Instrument wieder auf und fand in die Tonfolgen zurück: Was man einmal anfängt, muß man auch zu Ende bringen.
Das Tantchen hatte auch so ihre Gedanken. Sie stand auf, und ging hierhin und dorthin, überall lag was herum. Die Musik war bei Gott schön, aber bei der Gelegenheit konnte man ja auch ein bißchen aufräumen, der Weihnachtsbaum, wann sollte man ihn entfernen? Sollte der hier denn ewig stehen? War es nicht wieder einmal zum Verzweifeln?
Und wenn schon Kerzen brannten, dann konnte man die Petroleumlampe doch eigentlich ausmachen?
Fräulein Strietzel spielte ein Stück nach dem anderen, das Largo von Händel, das Ständchen von Heickens ... Zwischendurch ging sie auch mal an das Fenster und sah hinaus in die finstere Nacht. Es war ihr doch zugesagt worden, daß man sieholt und nach Allenstein bringt. Längst hätte sie dort sein können. Dort wartete man doch auf sie!
Kein Auto auf der Straße, nichts rührte sich! Wenn man etwas verspricht, muß man es halten ... Sie konnte hier doch nicht ewig so weiterspielen ...
Das dunkle Feld, wie die See des Nachts – aber da war kein fernes Licht.
Es war schon ziemlich spät, da rumpelte es an der Tür. Es war nicht der Wagen, Kultur hin – Kultur her: Benzin ist schließlich kostbar, sondern ein Soldat zu Fuß, ein Obergefreiter vom Lazarett aus Mitkau, ein sogenannter Oberschnäpser. Er hatte den langen Weg durch die Nacht nicht gescheut, um dem Fräulein Strietzel zu sagen, daß es heute nichts mehr wird mit der Weiterbeförderung. Morgen vielleicht, man wird es sehen ... Er hätte anrufen wollen, aber es war keine Verbindung
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